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 //221//                                                                
4.

Wir beziehen das Ideale auf das Reale. Bestimmtheit, Fixiertsein ist der Hauptcharakter desselben, dies Realen sowohl als Denken als des Subjekts [sic], das durch dies reale Denken entsteht. Das Denken steht bei dem Realen gleichsam still und ist nicht, wie bei dem Idealen, in Bewegung.  

Was ist nun in diesem Realen das Gedachte? Die produzierende Einbildungskraft und, da hier Bestimmtheit eintrifft [sic], die Einbildungskraft im Produzieren. Es ist ein Produkt der Einbildungskraft, also was ists?

Die Einbildungkraft synthetisiert ein unendlich teilbares Mannigfaltiges, nun ist dieses hier ein Stehendes - daher, weils ein Objekt der realen Tätigkeit ist. Demnach wird nicht aufs Mannigfaltige gesehen, sondern aufs Eine. Es ist das Erblickte ein Teilbares bis ins Unend-liche, es ist teilbarer Stoff, Materie im Raume. Eben die Vereinigung des Mannigfaltigen, wo auf die Vereinigung nur gesehen wird, macht es zur Materie. Darauf wird sich nun das Ideale beziehen und das Reale dadurch affiziert werden und sein Gepräge erhalten.

In demselben Zustande nämlich, da ich bestimmt denke, denke ich zugleich geistig und frei, mithin muss diese Freiheit auch aufs bestimmte Denken Einfluss haben und seine Spur zeigen. Welches ist nun dieses Produkt des Idealen im Bestimmen? Nichts anderes als das ideale Denken selbst, also ein sich-Bestimmen, Selbstheit, Freiheit müsste doch in demselben liegen.

Das Reale ist liegende tote Materie, aber es wird gedacht durch ein frei tätiges Wesen und ist dessen Bestimmung; es muss also noch das Gepräge desselben tragen, wodurch es auch nur fähig ist, Gegenstand desselben zu werden.
 
Nota.
Wenn es erlaubt wäre, aus der Wisenschaftslehre eine positive Metaphysik herauszulesen - nämlich eine Antwort auf die Frage, ob die Welt 'im Grund' aus Stoff oder aus Geist bestünde -, so belegt diese Stelle hinreichend: 'Wenn ich sie nach etwas nennen müsste', fiele mir nichts anderes als Materialismus ein.

Die Absolutheit kann nicht sein Absolutheit des Handelns, sondern bloß Asolutheit des Seins, ein Sein durch seine Natur, durch seine Bestimmtheit. Die Materie wird zu etwas an sich selbst und durch sich selber, ein selbstständiges Ding, da es vorher bloß ein mir vorschwebendes war, es wird für mich ein gegebenes, ganz eigentlich ohne mein Zutun vorhandenes Objekt. 

Denn ich bin nur das Freie; alle Beschränkung liegt außer mir. Dieses Beschrän-//222//kende soll nun sein durch sich selbst, was es ist. Es ist hier ebenso wie mit der notwendigen Aufgabe, beides ist etwas ohne [mein] Zutun Vorhandenes. Ich greife mich heraus aus einer Masse von Bestimmbarem, ich lange nicht über die Grenze des Beschränkten hinein [sic]

Es gibt ein Höchstes und ein Niedrigstes. So hier. Das Bestimmbare für geistige Tätigkeit [ist das] Reich der Vernunft; ein Niedrigstes: Ich erblicke mich als Reelles versinnlicht, und die tiefste Versinnlichung ist mein Produkt, zu diesem liegt ein Bestimmbares außer mir, Materie. Aber woher diese? Etwa von mir selbst? Wird mir also nicht einfallen. Ich habe es wohl auch selbst gemacht? Nein, denn ich trage auf dasselbe die Selbstständigkeit notwendig über dadurch, dass ich es denke; es wird ein Sein an und für sich, für sich bestehend.

Darinne also liegt der Unterschied. Durch das beschriebene Denken wird das Ding Noumen, id est etwas durch freies Denken Produziertes. Eben das absolute Denken ist ein sich-Denken, und dies geht durch unser Ganzes Bewusstsein hindurch, kommt bei aller Empirie vor und gibt allem von der Einbildungskraft Produzierten inneres Festigen. 

Kant sagt: Wir legen der Erscheinung ein Substrat unter, und dieses ist ein Noumen; aber das hat zu mancherlei Missverständnis Anlass gegeben. Das Produkt der Einbildungskraft und das Produkt des reinen Denkens, die Erscheinung und das Erscheinende ist eins. Nur die Philosophie unterscheidet, was im wirklichen Bewusstsein eins ist. 

Es liegt der Erscheinung ein Noumen zugrunde; bestimmter so: Die ganze Welt ist Erscheinung und auch Noumen, sie ist Produktion meines ganzen Geistes; dieser ist Denken und Hinschauen, in dem wirklichen Bewustsein handelt er als Ganzes. Beides, Noumen und Anschauung, ist eins, nur von verschiedenen Seiten durch die notwendige Duplizität des Geistes angesehen.

Durch dieses reine Denken wird das NichtIch Substanz, aber anders, als es oben das Ich wurde. Da wurde nur die Begrenztheit herbeigeführt, das Materielle war schon, und dies wurde durch das materielle Denken begrenzt, das schon vorhandene Mannigfaltige. Aber hier ist schon die Begrenztheit, und es wird nur das durch sich selbst Bestehende herbeigeführt.

In der Deduktion hebt das Bewusstsein von mir selbst an als dem Bewusstsein eines Unendlichen, und nur dadurch, dass //223// ich die Unendlichkeit nicht fassen kann, dadurch, dass sich mit der unendlichen Anschauung die Endlichkeit des empirischen Denkens verknüpft, werde ich mir zum Endlichen. 

Umgekehrt, das Bewusstsein der Welt geht ja nicht aus von der Unendlichkeit, sondern von der Endlichkeit. Meiner werde ich mir ganz bewusst, der Welt aber nicht als einer ganzenWelt, sondern einzelner Objekte. Ich fasse meine Begrenztheit auf, das die Absolutheit in sich Tragende kommt erst durch die Idee hinein.  

Der Mensch des gemeinen Bewusstseins wohl findet sich ganz, die Welt aber nicht ganz, der Begriff des Universums wird erst allmählich zusammengesetzt. Das Ich als Substanz kommt dadurch zu Stande, dass das ideale Denken begrenzt wird, und das Wesen des Ich besteht daher bloß in Tätigkeit, das NichtIch aber dadurch, dass das reelle Denken vergeistert wird, dann ist es Sein, dessen Wesen nur in Ruhe besteht.
 
Nota.
In der Deduktion, d. h. dem 'zweiten Gang' der Wissenschaftslehre, komme ich zunächst als ein Unendliches vor; nämlich dem Philosophen. Der Mensch des gemeinen Bewusstseins - also auch der Philosoph, sofern er nicht auf dem Katheder steht - dagegen findet sich vor als ein Ganzes, nämlich ein Begrenztes. Das Ich als Substanz, als das die Absolutheit in sich Tragende, kommt erst durch die Idee hinein. - Ist es so gemeint, oder bin ich zum banal?
JE
5. 

Alles wird klarer werden, wenn wir beides jetzt beschränkt denken; das Ideale des Bestimmten und das Bestimmte des Idealen vereinigen, also Synthesen vereinigen. Unser Plan ist einfach. Es versteht sich wohl, dass auch dieses Denken nur ein Denken ist und in einem Moment vorkommt, es also wohl vereinigt sein muss; was daraus entsteht, haben wir gesehen. 

Das jetzt Angezeigte ist also nichts anderes als ein besonders bestimmtes ideales und besonders bestimmtes reales Denken, beide sind auch unzertrennlich. Das Ich kommt zu Stande durch die Bestimmtheit des idealen Denkens, dieses sehe ich durchs Ding und das Ding durchs Ich. Das erstere geschieht, in wie fern ich die Freiheit in der Anschauung des Objekts realisieren kann; letzteres bloß, in wie fern ich meinen Zweckbegriff realisiere.

Ich bin nicht ohne Welt und meine Welt ist nicht ohne mich. Nun wird, woraufs ankommt, durch diese wechselseitige Beziehung auf einander, durch die Unzertrennlichkeit beider, beides auf eine gewisse Weise weiter charakterisiert. 

//224// A) Das NichtIch durchs erstere. Das Ich wird, weil, wie wir oben sahen, sein Handeln Dauer in der Zeit hat, durch die Zeit hindurch ausgedehnt, es ist zu aller Zeit, die nur gedacht wird. Zeit und Wirkung der Freiheit sind nur durch einander; nun wird, so gewiss das Ich durch die Zeit ausgedehnt wird, das NichtIch als für sich Bestehendes mitgedacht, daher fällt es als Ding, als Noumen, auch mit in die Zeit und erscheint als seiend zu aller Zeit, weil das Ich das NichtIch immer bei sich führt. Seine Bestimmungen durch die Freiheit des Ich, seine Akzidenzien, verwandeln sich durch die darauf bezogene Freiheit des Ich im Verhältnisse der Zeit.

Von Organisation der Natur ist noch nicht die Rede.
 
Nota.
Treffend spricht F. hier von 'meiner' Welt. 'Unsere' Welt ist die Welt der 'Reihe vernünftiger Wesen', aus der ich mich 'auswähle' - so wie mir lebensgeschichtlich 'unsere' Welt als Horiziont vor gegeben ist als Aufforderung, 'meine' Welt zu entwerfen.

Die Ursache und die Wirkung sind gleichzeitig, durch den Begriff der Kausalität entsteht keine Zeit. In der Natur entsteht sonach keine Zeit, die Zeit entsteht nur im Ich, in dem Begriff der Substantialität, auf das Ich angewendet, in dem Durchlaufen der Handlungsmöglichkeiten durch die Einbildungskraft. Dadurch, dass das Objekt bloß Objekt für das handelnde Ich ist, wird ersteres mit durch die Zeit ausgedehnt. 

Dies gibt die Bestimmbarkeit des Objekts für die Wirksamkeit des Ich mit und fällt in die schon bemerkte Lücke. Wir konnten nämlich nur auf ein Produkt der Wirksamkeit des Ich schließen. Nun kommt aber in der Erfahrung ein Zweites vor, auf welches wir beim Produzieren handeln; das ist das NichtIch als Noumen und die mit ihm unzertrennliche Erscheinung. 

Dies ist zu aller Zeit schlechthin gegeben, ohne unser Zutun vorhanden, auf dieses geht unsere Wirksamkeit und verändert die Erscheinung, doch so, dass das Dauernde desselben immer bleibe, an dem unsere eigene Selbstständigkeit objektivisiert ist [sic]. Unbegreiflich ists: Wenn ich wirke, verändere ich doch das ganze Ding, denn es ist immer ein Fortgehen von entgegengesetzten Zuständen zu entgegengesetzten Zuständen; und doch soll das Ding immer bleiben. 

Es bleibt nichts als das Denken des Dinges, das Noumen, an dieses hängt sich die Identität des Bewusstseins an. Im Ding als dem Bestimmbaren, so wie es gegeben sein soll, ehe wir darauf wirken, kann man die unzer- trennliche Vereinigung des Noumen und //225// des Phänomen [sic] am besten erklären. Dieses Bestimmbare ist nicht formlos, sondern erscheint uns nur als gestaltlos. Das Bestehen durch sich selbst, wodurch es erst zu einem Dinge wird, ist bloß durchs Denken; die Gestalt aber durch die Einbildungskraft. Sie ist aber nur eine verworrene Darstellung unserer Handlungsmöglichkeiten, die in dem Dinge ausgedrückt sind; alles, was ich daraus machen könnte. 
 
Nota. 
Bemerkenswert für die ästhetische Betrachtung: die Gestalt der Dinge als Bild meiner Handlungsmögichkeiten: "alles, was ich daraus machen könnte". Gemeint sind die Dinge, wie sie im praktischen Leben wirklich sind. Das betrifft auch noch die Dinge im kultischen Bild: nicht nur, was ich faktisch, sondern auch, was ich im Glauben daraus machen kann. Aber doch eben ich.
So die Kunst unbeirrt bis in die Renaissance. Erst mit dem Aufblühen der Landschaftsmalerei kommt die Idee auf, die Dinge so darzustellen, wie sie "an sich selber sind"; ohne Hinblick auf das, was ich daraus machen kann. Das ist ein unnatürlicher Blick, er erfordert eine besondere Konzentration, ein absichtliches Absehen von aller Absicht.
Dazu eignet sich kein wirkliches Ding eher als die Landschaft. Und wer sich auf die Darstellung der Landschaft verlegt, wird früher oder später darauf verzichten, 'Handlungsmöglichkeiten' in ihr zu erspähen, und sich auf die Anschauung des 'rein Ästhetischen' beschränken.
Dass die Kunst zeitweilig ungegenständlich wurde, war kaum zu umgehen, hat sich aber auch bald erschöpft. Wo keine Gegenstände sind, sind auch keine Handlungsmöglichkeiten, und die Abstraktion abstrahiert von gar nichts. Die ästhetische Pointe ist ja eben: an den Gegenständen von den wirklichen Handlungsmöglichkeiten absehen. Ungegenständliche Bilde wirken seit ein paar Jahrzehnten beliebig und rein dekorativ. 
25. 4. 17
 
Nun fange ich darauf hin an zu handeln und verändere die Gestalt des Dinges ganz. Was ist[s] denn nun, welches durch die Zeit des Handelns durch dauert? Bloß mein Denken mit der verworrenen Darstellung alles dessen, was ich tun könnte, unter welchem ich aber immer bloß das Eine tue. Beispiel von einem Baume, von dem man ein Stück nach dem andern abschneiden kann pp. 

Dies Beispiel gilt nur von der Wirksamkeit in Gedanken; drum sagt Fichte anderwärts: Substanz ist Akzidens in der Vereinigung, ihre Form ist das vereinigte Denken, und dieses ist das ideale Denken des Bestimmens. Jedes Ding ist bezogen auf unsere mögliche Wirksamkeit und auf nichts anderes als die Wiederherstellung des Quantums dieser Wirksamkeit.

Unsere Aufgabe ist gelöst. Wir hatten das ideale und reale Denken selbst als vollkommene Synthesis aufzustellen. Dies ist geschehen, das Bestimmbare in beiden ist angegeben, beide sind durch einander bestimmt, β-γ ist vereinigt, die Bestimmtheit meiner selber mit dem Reiche der Vernunft überhaupt, auch B und C, die Bestimmtheit meines Wirkens als sinnlicher Akt mit dem Objekt, worauf dieses mein Wirken geht: C. 

Beide Glieder sind vereinigt, indem ich mich, da* ich gleich teils Individuum bin, teils Geist bin, nicht erblicken kann ohne Ding, das mir zunächst liegend ist: mein Produkt, entfernt liegend aber ein Objekt (Materie) ist, und umgekehrt das Ding nicht ohne mich.
*)
in Krauses Ms.: dass   

Nota I.
Oder, wie der Phänomenologe sagt, zuerst waren die Dinge zuhanden, bevor sie vorhanden sein konnten.
Nota II.
'Das Ideale' ist überhaupt nur da, um das Reale verständlich zu machen. Ideal liegt dem Ich zu Grunde das Wollen-überhaupt: unendlicher Trieb, Streben. Real verbraucht die endliche Wirksamkeit allerdings Kraft. Es reicht nicht, dass ein Produkt entsteht: Auch die verbrauchte Kraft - Quantum der Wirksamkeit - muss wiederhergestellt werden, um das endliche, empirische, reale Ich zu erhalten.
                                        
§ 18 [Zusammenfassung]

Da das Ich in dem Anschauen seines reinen Denkens zugleich bestimmt ist, so wird ihm notwendig dieses reine Denken selbst (das heißt, das Ich als Produkt //226// dieses Denkens als freies Wesen) ein Bestimmtes. Ein freies Wesen als solches kann aber nur bestimmt sein durch die Aufgabe, sich selbst mit Freiheit zu bestimmen. Indem das Ich dieses denkt, geht es von einer Sphäre der Freiheit überhaupt als Bestimmbarem über zu sich als dem in dieser Sphäre Bestimmten, und setzt sich dadurch als Individuum, im Gegensatz mit einer Vernunft und Freiheit außer sich.

Da das Ich im bestimmten Denken zugleich frei ist und nur mit Freiheit das Bestimmte denkt, so trägt es auch die Freiheit auf das Bestimmte über; aber Freiheit in der bloßen Bestimmtheit wie in der Natur ist Sein durch sich selbst. Dadurch wird dem NichtIch ein vom Ich unabhägiges Sein zugeschrieben, und es wird dadurch erst ein Ding. In wiefern es dieses Sein hat, ist es das fortdauernde Bestimmbare in allen Bestimmungen, die es durch die Freiheit des Ich erhät.

Das Denken des Ich als [eines] freien, aber beschränkten Wesens und das des NichtIch als [eines] für sich bestehenden Dinges sind gegenseitig durch einander bestimmt. Das Ich schaut an seine Freiheit nur in den Objekten seines Handelns, und es schaut an diese Objekte nur, inwiefern es mit Freiheit auf sie handelt.

§ 19 

Es liegt auf beiden Seiten der Synthesis, die unsre Deduktion und alles Bewusstsein umfasst, etwas höchstes, letztes Bestimmbares. Dieses haben wir an beiden Seiten der Hauptsynthesis angeknüpft, und unsere Synthesis ist also erschöpft - von einer Seite die Vernunftwelt, von der anderen die Welt der Objekte. Nun ist, da die Hauptsynthesis eins sein soll, vorauszusehen, dass beides weiter durch einander bestimmt sein wird. 

//227// In der Mitte liegt A, an den Seiten β und B, an der einen γ, an der anderen G. Das Ganze sieht aus wie ein Fachwerk, wie eine Reihe, aber das Bewusstsein ist gleich einem Zirkel; γ und G also müssen in einander greifen und durch einander bestimmt werden. Nur durch diese schließen wir den Zirkel und vollenden unsere Aufgabe. Beide müssen in einander eingreifen; oder bestimmter, beide müssen durch einander bestimmt werden.

An diese Bestimmung können wir nicht unmittelbar gehen, ohne uns zu verwirren, wir müssen unsere Untersuchung tiefer fassen. Fichte geht deshalb in die Hauptthesis zurück zu dem im vorigen Paragraphen aufgestellten Ich, an welches alles Mannigfaltige dieser Untersuchuung anzuknüpfen ist.

1) Das Ich selbst als ein Individuum fand sich bestimmt durch die absolut zu denkende Aufgabe, sich selbst zu bestimmen; nach dem Obigen, was Kant den kategorischen Imperativ nennt. Die Freiheit ist nicht, wie Sein, beschränkt, sie muss ihre Begrenztheit umfassen, sie muss sich selbst begrenzen. Auch diese Bestimmtheit lässt sich auf zwei Seiten ansehen:

A) als notwendiges Bestimmen, active subiective idealiter, und dies ist jenes Sollen[;] ein Sollen ein notwendiger Begriff [sic].

B) obiective als Etwas bestimmen, und dann wird die Bestimmtheit ein bleibender Zustand. Es [sic] wird der Charakter (Grundcharakter) und das Wesen des Ich.

Allenthalben waltet diese Duplizität, auch hier bei dem Höchsten: Bestimmen bestimmt, handeln Handlung ist dasselbe; [je] eine aus zwei Ansichten. Hier ist nur Aufgabe zu einer Handlung, nun kann man die Notwendigkeit erst denken als ein Sein, als eine Bestimmtheit. Dies liegt in der doppelten Ansicht.

Diese Ansicht ist eine notwendige, zufolge der originären Duplizität des Ich notwendig. Welche Bestimmtheit es sei, ist bekannt, des Individuum[s], als Setzen meiner als einzeln aus mehreren, durch das mit dem Setzen meiner verknüpfte Setzen anderer. Es ist uns nicht mehr hier zu tun um das //228// bloße Denken, sondern um die Wahrnehmbarkeit. 

Man unterscheide sorgfältig Anschauen und reines Denken, wie oben gelehrt wurde. Ich bin ja nur Produkt meines reinen Denkens. Nun ist gesagt, ich greife mich heraus aus einer Vernunft außer mir. Nun würde es aussehen, als ob ich eine Freiheit außer mir nur dächte. Aber dies ist nicht der Fall, sondern es ist die Rede von einer Wahrnehmung der Freiheit und Vernünftigkeit außer mir, und dies muss deduziert werden.

Es ist zwar wahr, dass die Vernunft außer uns nur ein Noumen ist. Ich halte jeden für vernünftig und frei, aber niemand verlangt von mir, dass ich seine Vernünftigkeit hören und sehen solle oder durch einen äußeren Sinn wahrnehmen solle; aber wohl, dass ich aus gewissen Phänomenen dies schließen soll. Aber es muss in der Sinnenwelt Erscheinungen geben, auf welche ganz allein wir genötigt sind, den Gedanken der Vernunft überzutragen, auf welche allein uns dies möglich wird. Sie müssten mit jenem reinen Denken zusammenhängen; sie zu deduzieren ist hier unsere Aufgabe.

2) Also die Aufgabe ist: Das Setzen der Bestimmtheit, oder der Denkakt in diesem Setzen unsrer als Individuum, welches Wahrnehmung ist und auf eine Wahrnehmung außer uns deutet, soll beschrieben werden. Zwar denken wir uns in die Sinnenwelt nur als Ursache hinein, und in dieser Hinsicht sind andere freie Wesen auch Noumene, aber dies ist doch nur, in wiefern wir unser Bestimmen als subjektives und ideales hinstellen. Es ist aber auch notwendig, dass dieses auch objektive Ansicht der Bestimmtheit habe. Diese ist Wahrnehmung, folglich: Ich bin Individuum im Reiche der Vernünftigkeit, mit diesem hängt mein Denken zusammen; deswegen auch eine Ansicht der Objekte mit der Ansicht der anderen freien Wesen. Dies soll nicht in der gewöhnlichen synthetischen Methode vorgetragen werden, die Synthesis wird schon drinne liegen.

A. Ich erscheine mir nicht etwan als Ich überhaupt im Gegensatz der Natur, sondern als Individuum im Gegensatz mit einer vernünftigen Welt außer mir. Als solches finde ich mich nun, d. h. ich finde mein Sein [-] nicht ein Sein des Dinges, sondern nur [die] Bestimmtheit der moralischen Handlungsmöglichkeiten [-] nicht hervorgebracht durch mein Denken, sondern als //229// unabhängig davon vorhanden. Wie allenthalben erscheint dieses Denken bloß als Nachbilden; nicht wie das Denken im Zweckbegriff als durch sich selbst bestimmt und Vorbild eines Produkts in der Sinnenwelt.

Ich bin einmal das, was ich bin, ohne mein Zutun, so kommts mir vor und muss mir so vorkommen. Dieses ist die Bestimmtheit, von der ich spreche. Sie soll an sich so sein; es soll nun einmal so sein. Es soll bloße Denknotwendigkeit sein als solche.

Anmerkung: Ich bin in diesem Denken meiner-selbst selbst [sic] beschränkt und gebunden wie bei allem reellen Denken, aber nur, in wiefern ich mir selber und meiner eignen Natur überlassen bleibe; unter dieser Bedingung gehe ich nicht über jene Grenze hinaus. Da es aber Beschränktheit der Freiheit ist, so kann ich durch den Gebrauch der Freiheit, der hier Missbrauch ist, über diese Grenze hinausgehen.

Man weiß, dass es zweierlei Beschränktheit gibt; z. B. wenn man mir meine Hände und Füße fesselt oder wenn mich jemand anredet. Beschränktheit des physischen und moralischen Vermögens. - Es ist inhuman, dem, mit dem man reden will, in die Rede zu fallen, aber nicht physisch unmöglich. Dies letztere ist die Beschränktheit, von der Fichte hier redet, eine moralische Beschränktheit. -

Es ist inhuman, dem, mit dem man etwas reden will, in die Rede zu fallen, aber nicht physisch unmöglich. Dies letztere ist die Bestimmtheit, von der Fichte hier redet, eine moralische Bestimmtheit.

B. Nun kann sich ein Ich doch nur als Ich mit dem Charakter des Ich, der nur Freiheit ist, nur als handeln sollend und könnend finden. Man wende obigen Unterschied hier an. Ich bin beschränkt heißt nicht: Ich bin so breit und lang, nein, es heißt: Mein handeln Können und Sollen ist bechränkt.

So viel Merkmale hier dem Charakter des Ich beigefügt werden, müssen erörtert werden [sic].

Ich finde mich zuvörderst als handeln könnend, rein als Handelndes bin ich gemacht durch mich, durch den Willen, nicht aber mir selbst gegeben. Als handeln Sollendes kann ich mich finden. Was ist denn nun das Denken des Handelns seinem Charakter nach für ein Denken? Das Handeln ist ein Fortfließen, es ist also ein versinnlichtes Denken. Nur erscheint mir das bloße Entwerfen des Zweckbegriffs nicht als Handeln, sondern als bloßes Denken, als etwas //230// außer mir, als ein Ding. Wie ist beides verbunden?

Durch die Anschauung meines Handelns, die insbesondere auch drum nach dem Obigen stattfinden muss, weil bloß durch sie eine Zweckerfüllung entsteht. Ich finde mein Handeln also als etwas Gegebnes, als ein Mögliches.

Gesetzt, ein Mensch hätte noch nichts getan (welches absurd ist und nur auf einen Augenblick gesetzt worden). Dennoch soll er etwas tun, es wird also postuliert, dass er schon einen Begriff vom Handeln habe. Dieser Begriff, der bei ihm nicht aus der Erfahrung kommen kann, müsste beim ihm ein Begriff a priori sein. So hier. Ich finde mich als Handelnsollendes, da liegt das Handeln schon drinnen. Das ist ganz klar eine Versinnlichung, die zusammengesetzt ist aus dem Zweckbegriff, der kein Handeln ist, und dem Realisieren, das nicht gefunden wird; also gleichsam in der Mitte schwebend.

Nota.
Die Wissenschaftslehre begründet nicht nur eine Anthropologie, was sie rechtfertigt, sondern sie beruht auch auf ihr, was sie motiviert. "Handeln ist ein Begriff a priori" - für das Idividuum so, wie der Philosoph das Wollen dem Ich zu Grunde legt.

Was schaue ich denn nun an? Etwas durch die Einbildungskraft Versinnlichtes. Im Handeln ist nicht bleibende Gestalt, weder des Subjekts noch Objekts. Das Denken des Handelns ist ganz sinnlich, und eine solche Ansicht ist von der Synthesis, durch die das Bewusstsein zustande kommt, unzertrennlich. 
 
Nun muss ich zu dem bestimmten Handeln ein Bestimmbares setzen. Da das Bestimmte sinnlich ist, muss das Bestimmbare auch sinnlich sein. Das Bestimmbare war nach dem Obigen meine Individualität, meine sinnliche Kraft, daher muss dieses auch als ein Sinnliches erscheinen.

Was ist nun meine Individualität? Mein versinnlichtes Sollen. Eine Aufforderung zur freien Tätigkeit als Faktum in der Sinnenwelt. Es ist die Beschränktheit meiner Freiheit in einer besonderen Sphäre, oder bestimmte Bestimmbarkeit meiner selbst.

Die Aufforderung eines Sollens muss also erscheinen als Wahrnrhmung, welche eine ganz eigne Idee dieses Systems [=der WL] ist, eine ganz eigne Erklärungsweise, die Wirksamkeit in der Sinnenwelt zu erklären. Sie ist nichts als objektive, versinnlichte Wahnehmung meiner Bestimmung, auf andere und mit anderen Vernunftwesen  in Wechselwirkung zu treten.

Ich finde mich in mir selbst aufgefordert, frei zu handeln in einer bestimmten Sphäre. Das passendste Beispiel davon ist das einer Frage. In
//231// ihr ist Bestimmtheit und Bestimmbarkeit, hier ist bestimmte Bestimmbarkeit: leiden und affiziert werden und Freiheit. 

 




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Neu durchgesehene und kommentierte Ausgabe.

  Fichte's Vorlesungen über die Wissenschaftslehre, gehalten zu Jena im Winter 1798-99   nachgeschrieben von K. Chr. Fr. Krause ...