Dies ist nun, worin alles Bewusstsein enthalten ist, und woraus es deduziert wird, ist aufgezeigt: Das Subjektive, das sich selbst Setzende; das Objektive, die praktische Tätigkeit, und das eigentlich Objektive, das NichtIch.
Objektiv hat zwei Bedeutungen: 1., im Gegensatz mit der idealen Tätigkeit, ist es die praktische Tätigkeit; 2., im Gegensatz des ganzen Ich, ists das NichtIch.
1) Im vorigen Paragraphen ist erwiesen, dass die Anschauung eines freien Handelns bedingt sei durch die Anschauung eines frei entworfenen Begriffs vom Handeln. Für die Entwerfung dieses Begriffs ist nach dem Obigen eine Sphäre gegeben, das Bestimmbare. Dieses kennen wir als ein unendlich Teilbares von möglichen Handlungen. In dem Zusammensetzen dieses Mannigfaltigen soll die praktische, inwiefern es diesen Begriff durch ideale Tätigkeit bestimmt, oder die materiale Freiheit (die Freiheit der Wahl) des Ich bestehen.
In wiefern das Ich in dieser Funktion des Begriffs ideal ist, ist es doch gebunden. Die Entwerfung des Begriffs x lässt sich nur so begreifen: Es ist der idealen Tätigkeit ein Mannigfaltiges gegeben, aus diesem setzt sie einen Begriff zusammen, sie lässt liegen, was sie will, und fasst auf, was sie will, darin besteht ihre Freiheit. Aber das Gegebene muss sie als gegeben anschauen, und darin liegt ihre Gebundenheit.
Kurz, es ist hier ein Übergehen von Bestimmtheit zum sich Bestimmen oder zur Bestimmbarkeit. Die ideale Tätigkeit ist teils gebunden (bestimmt), teils frei. Die Freiheit ist das Bedingte und die Gebundenheit das Bedingende; ist nichts gegeben, so kann nicht gewählt werden. So allein kann die Entwerfung des Begriffs vom Zweck gedacht werden.
Wir kennen die Sphäre des Bestimmbaren noch nicht anders als unter dem Prädikate eines ins Unendliche teilbaren Mannigfaltigen. Aber ein solches ist nichts, ein solches ins Unendliche Teilbare gibt kein Anhalten, kein Bindendes, mithin keine ideale Tätigkeit und mithin auch keine Teilbarkeit ins Unendliche; mithin widerspricht sich der Begriff von Etwas, welches weiter nichts sein soll als teilbar //65// ins Unendliche. Und da dieser Begriff unter den Bedingungen des Bewusstseins vorkommt, so käme unter letzterer ein Unmögliches vor.
Es müsste sonach etwas Positives, das nicht weiter teilbar wäre, angenommen werden, um die ideale Tätigkeit des praktischen Vermögens zu erklären. Dies ist aber ein Reales, das Unteilbare müsste also unteilbar sein als Realität; als Quantität müsste es wohl teilbar sein. Nun soll die ideale Tätigkeit hier so gebunden sein: nicht, dass sie als bewegliche fortgerissen werde, sondern dass sie angehalten und fixiert werde.
Das, was die ideale Tätigkeit fixiert, soll Stoff einer Wahl sein. Aber die Wahl kann nur mit Bewusstsein des [=von dem] Gewählten geschehen, aber es gibt kein Bewusstsein von Etwas ohne Entgegensetzung. Sonach müsste es in dieser Ansehung Zustände des Gemüts geben, die nur Einheit und Gleichheit sind, nicht aber Vielheit in eben und demselben Zustande. Es muss Grundeigenschaften geben (die nicht weiter zergliedert werden können) des Bestimmbaren, und ein Sein des Bestimmbaren.
Die ideale Tätigkeit kann schlechthin auf nichts anderes gehen, als auf ein Handeln=eine reale Tätigkeit, der widerstanden wird. Es ist dieser Moment der Synthese von realer Tätigkeit und Widerstand, der der idealen Tätigkeit einen Halt, einen Anhalts-Punkt gibt - und insofern einen Charakter von Sein an sich trägt, das seinerseits Tätigkeit negiert. Lassen Sie mich raten: Er wird mehr von Seiten des Widerstands herkommen, als von Seiten der Tätigkeit, oder?
Das oben Gezeigte wird sich unten zeigen als dasjenige, was durch das unmittelbare Gefühl gegeben ist, z. B. Rot, Blau, Süß, Sauer. In diesen Gefühlen ist der Zustand des Gemüts nicht Vielheit, sondern Einheit, die Teilbarkeit findet aber dabei statt, nämlich dem Grade nach. Ich kann mehr oder minder Rotes empfingen, aber ich kann nicht sagen, wo es aufhört, rot zu sein.
Wie ist das Setzen oder das Bewusstsein dieses Etwas möglich? Wie kommt es in das Ich?
3) Dieses Etwas und das Bewusstsein davon geht allem Handeln voraus, denn das Handeln ist dadurch bedingt. Das Gegebene ist die Sphäre alles möglichen Handelns; das Handeln //66// aber ist absolut nichts Einfaches, sondern ein Zweifaches. Es liegt gleichsam eine Ausdehnung des Selbstaffizierens und ein Widerstand, der es aufhält und zu einem Anschaubaren macht, darin. Was in der Sphäre des Bestimmbaren liegt, ist das Handeln; jedes Mögliche muss etwas dem Ich Angehöriges und etwas ihm Widerstrebendes sein.
Ja, Gefühl ist ein vom-Andern-affiziert-Sein. Aber das ist nur eine Worterklärung. Was ein Gefühl ist, kann man nur fühlen, nicht erklären, stimmt's?
Der Charakter des Seins ist Bestimmtheit, folglich müsste hier liegen eine ursprüngliche Bestimmtheit zum Handeln überhaupt. -
- Das Ich, sobald es gesetzt ist, ist nicht frei zu handeln überhaupt, sondern nur, ob es dies oder jenes handeln will; wir bekommen hier ein notwendiges Handeln. Das Wesen des Ich ist Tätigkeit, folglich wäre hier ein Sein der Tätigkeit. Das den Begriff von seinem Willen entwerfende Ich ist gebunden, aber die Gebundenheit deutet auf ein Sein, und zwar auf ein eigentliches Sein. Das Bindende und insofern Setzende ist dem Ich angehörig, aber das Ich ist hier praktisch (Tätigkeit), sonach ist hier ein Sein der Tätigkeit. Beide sich widersprechende Begriffe sind hier vereinigt (nämlich Sein und Tätigkeit), und diese Vereinigung wird hier betrachtet als ein Gefundenes.
Ich finde etwas, aus dem ich mein Handeln zusammensetze; in diesem liege ich selbst, also hier wird Tätigkeit gefunden. Diese Tätigkeit ist eine zurückhaltende Tätigkeit, und davon bekommt sie den Charakter des Seins; so etwas ist aber ein Trieb, ein sich selbst produzierendes Streben, das im innern dessen, dem es zugehört, gegründet ist (vide compendium p. 282); es ist Tätigkeit, die kein Handeln ist, etwas anhaltendes, die ideale Tätigkeit bestimmendes, eine immer fortdauernde Tendenz, den Widerstand zu entfernen (wie die Tendenz einer gedrückten Stahlfeder).
Das Ich ist frei, so oder anders zu handeln. Aber ob es überhaupt handeln will, steht ihm nicht frei. Es ist Handeln, nämlich Tätigkeit gegen einen Widerstand, aber im Zustand der δυναμις, eine Möglichkeit, der es nicht freisteht, sich zu aktualisieren, sondern es immer muss, sobald sie es kann. Das ist die Vorstellung, von der die Wissenschaftslehre, wenn auch nicht der Begriff, von dem ihre Darstellung ausging.
Das ist, ich werde nicht müde, es zu wiederholen, eine anthropologische Prämisse. Nicht nur begründet die Wissenschaftslehre eine (die rationelle) Anthropologie, sondern sie gründet auch darin. Sie ist zirkulär, ja.
Dieses Etwas ist als ein wirkliches Handeln nicht gesetzt, was also davon dem Ich angehört, ist nicht zu erklären aus einem wirklichen Selbstaffizieren. Das Ich wird hier nur gesetzt als ein Vermögen des Handelns in diesem Mannigfaltigen. Nun aber kommt dieses Vermögen hier nicht vor als ein bloßes Vermögen, als eine Mögliches im Denken, sondern als ein Anschauliches, welchem insofern der Charakter des Seins zukommt.
Der Charakter des Seins ist Bestimmtheit, folglich müsste hier liegen ursprüngliche Bestimmtheit zum Handeln überhaupt. -
Das Ich, sobald es gesetzt ist, ist nicht frei zu handeln überhaupt, sondern nur, ob es dies oder jenes handeln will; wir bekommen hier ein notwendiges Handeln. Das Wesen des Ich ist Tätigkeit, folglich wäre hier ein Sein der Tätigkeit. Das den Begriff von seinem Willen entwerfende Ich ist gebunden, aber die Gebundenheit deutet auf ein eigentliches Sein. Das Bindende und insofern Setzende ist dem Ich angehörig, aber das Ich ist hier praktisch (Tätigkeit), sonach ist hier ein Sein der Tätigkeit. Beide sich widersprechende Begriffe sind hier vereinigt (nämlich Sein und Tätigkeit), und diese Vereinigung wird hier betrachtet als ein Gefundenes.
Sein ist Bestimmtheit. (Tätigkeit ist Bestimmen.) Das 'Sein' der Tätigkeit ist Bestimmtheit zur Tätigkeit. Das Vermögen des Handelns ist zum Handeln bestimmt. Und wie immer: Das 'ist' nicht so, aber wird so vorgestellt.
//67// Mit dem Setzen eines Triebes muss notwendig etwas die Tätigkeit Verhinderndes gesetzt werden. Denn im Triebe liegt die Notwendigkeit des Handelns; da er aber kein Handeln wird, sondern ein Trieb bleibt, so muss der Grund davon in einem andren liegen. Man kann sagen, der Grund des Triebes liegt im Subjekte, inwiefern der Grund zu einer Tätigkeit im Subjekte liegt. Aber er liegt nicht drin, in sofern er nicht Tätigkeit, sondern Trieb ist, und dadurch, dass etwas Verhinderndes da ist, wird eben die Tätigkeit aufgehoben. Wir kommen sonach aus diesem Wechselverhältnis nicht hinaus.
4) Was wird nun aus diesem Triebe des Ich folgen? Man denke, das Ich würde nicht begrenzt, sein Trieb würde Tätigkeit, so wäre das Ich ein Selbstaffizieren und weiter nichts, das Ich wäre nicht gebunden, es wäre sonach keine ideale Tätigkeit, ideale und reale Tätigkeit fielen zusammen. So etwas können wir uns nicht denken, es wäre das Selbstbewusstsein eines gedachten Gottes (vide compendium, p. 265 die Parenthese).
Von diesem Zustand wollen wir übergehen zur Beschränktheit, jetzt kann das Ich nicht handeln, seine praktische Tätigkeit ist angehalten. Nun ist der Charakter des Ich, dass es sich idealiter setze oder anschaue; dies ist erst jetzt möglich, denn jetzt ist etwas Gehaltenes da. Es muss ein Bewusstsein des Triebes oder der Beschränktheit notwendig geben. Aus dem Triebe folgt Bewusstsein.
Wenn das Ich lauter[e] Tätigkeit wäre und keine Beschränkung in ihm vorkäme, so könnte es sich nicht seiner Tätigkeit bewusst werden. Es kann im Ich nichts vorkommen ohne Bewusstsein, nun kommt hier der Trieb vor, folglich muss Bewusstsein desselben dasein.
Anmerkung: A) Hier teilen sich ideale und reale Tätigkeit, und die oben beschriebene Entgegensetzung beider wird möglich. Wir stehen an der Grenze des Bewusstseins, weil wir den Ursprung alles Bewusstseins sehen.
B) Ideale Tätigkeit ist nur eine gebundene; ihr unmittelbares Objekt ist die praktische [Tätigkeit], ihre Gebundenheit hängt von der praktischen ab, diese muss ursprünglich ein Streben sein, und dies ist der Ursprung des Bewusstseins.
5.) Was ist das nun für ein Bewusstsein, das mit dem Triebe ver-//68//knüpft werden soll? Mit dem Bewusstsein, das wir bisher kennen, mit der Anschauung verhält es sich so: Wir erblicken in ihr Reales und Ideales getrennt; das erstere hat sein vom Idealen unabhängiges Sein, das letzte sieht nur zu. Bei dem Bewusstsein, von dem wir hier reden, kann dies der Fall nicht sein, es gibt hier kein reales Sein, es wird nicht gehandelt, sonach müsste hier Ideales und Reales zusammenfallen; das Ideale wäre hier sein eigner Gegenstand, kein unmittelbares Bewusstsein, und [denn] dieses ist ein Gefühl. Man fühlt kein Objekt, das Objekt wird angeschaut.
Jedes Objekt, sogar ein Handeln, soll etwas sein, ohne dass ich mir desselben bewusst würde. Der transzendentale Philosoph erinnert freilich, dass etwas ohne Bewusstsein nicht sein könne, aber der gemeine Menschenverstand sieht dies nicht so an. Man unterscheidet Handeln und Bewusstsein. Ein Gefühl ist aber gar nicht, ohne dass gefühlt werde, die Reflexion ist mit dem Gefühl notwendig und unzertrennlich verbunden. Das Gefühl ist ein bloßes Setzen der Bestimmtheit des Ich.
Wir haben nun ein mittelbares Bewusstsein eines unmittelbar Materialen, welches wir bedurften. Oben suchten wir das formale [Bewusstsein], wir kamen auf ein Subjekt-Objekt, auf ein sich-selbst-Setzen. In diesem Gefühle, wie sich weiter unten zeigen wird, kommen Ich und NichtIch zusammen vor, und zwar nicht lediglich zufolge der Selbstbestimmung, sondern in einem Gefühle.
Im Gefühle ist Tätigkeit und und Leiden vereinigt; in wiefern das erste vorkommt, hat es Beziehung auf das Ich; in wiefern aber das zweite vorkommt, auf ein NichtIch, aber im Ich wird es gefunden, das Gefühl ist faktisch das erste Ursprüngliche. -
Man sieht hier schon, wie alles im Ich vorkommen kann und dass man nicht aus dem Ich herauszugehen braucht. Man brauche nur eine Mannigfaltigkeit von Gefühlen anzunehmen, und es würde sich leicht zeigen lassen, wie man die Vorstellungen von der Welt davon ableiten könnte.
Ich bin nicht sicher, dass ich das richtig verstehe: '...und dieses ist ein Gefühl'. Zwar erscheint dem Transzendentalphilosophen das reale Objekt nur vermittelt: als Widerstand gegen die Tätigkeit des Ich; aber überhaupt erst so erscheint es dem Ich selber: "Man fühlt kein Objekt, das Objekt wird angeschaut." Das Unmittelbare für das Ich ist ein mehrfach Vermitteltes für den ('objektiven') Betrachter: die Anschauung einer Anschauung; der Widerstand ist mit der idealen Tätigkeit synthetisch vereinigt, und es ist diese Synthesis, die wiederum zum Objekt idealer Tätigkeit wird: Hier sind "Tätigkeit und Leiden vereinigt", "und dieses ist ein Gefühl". Was vorher ein Ideales war, wird hier zum Realen, Ich und NichtIch "kommen zusammen vor", das Ideale wird sich selbst zum Gegenstand.
Das erweist sich beim näheren Hinsehen alles als weniger schwierig, als es zunächst scheint. Wirklich verwirrend ist aber dies: als Gefühl tritt dieses mehrfach Vermittelte in intime Nachbarschaft zu 'Rot, Blau, Süß und Sauer'. Das war es, was uns bislang als "unmittelbares Bewusstsein eines unmittelbar Materialen"* vorgestellt wurde: als die Grenze des Ich. Hier aber ist es eine ideale Tätigkeit, wie sie von der idealen Tätigkeit angeschaut wird.
Merkwürdig bleibt, dass F. seinen Sprachgebrauch an dieser Stelle nicht erläutert.
**) Die Rückerinnerungen stammen aus derselben Zeit wie die(se) WL nova methodo
*) Das war ein Lesefehler (spät am Abend, als die Augen müde waren)! Es heißt vielmehr: "ein mittelbares Bewusstsein", und so muss es ja auch sein. Das klärt ein bisschen was auf. Aber an der Zweideutigkeit des 'Gefühls' ändert es nichts. 1. 9. 2016
6. Wie ist es nun möglich, dass das Ich vor allem Handeln voraus eine Erkenntnis der Handlungsmöglichkeiten habe? Es gehört für diese Handlungsmöglichkeit ein Positives des Man-//69//nigfaltigen, wodurch das Mannigfaltige erst würde; und dass nicht weiter zergliedert werden könne und dass es Grundeigenschaften geben müsse. Das Gefühl ist eins, es ist Bestimmtheit, Beschränktheit des ganzen Ich, über die es nicht hinausgehen kann. Es ist die letzte Grenze, es kann sonach nicht weiter zergliedert und zusammengesetzt werden, das Gefühl ist schlechthin, was es ist. Das durch das Gefühl Gegebene ist die Bedingung alles Handelns der Ich, die Sphäre, aber nicht das Objekt.
Die Darstellung des Gefühls in der Sinnenwelt ist das Fühlbare und wird gesetzt als Materie. Ich kann keine Materie hervorbringen oder vernichten, ich kann nicht machen, dass sie mich anders affiziere, als sie es ihrer Natur nach tut. Entfernen oder annähern kann ich sie wohl. Das Positive soll Mannigfaltigkeit sein, weil es Gegenstand der Wahl für die Freiheit sein soll. Es müsste also mannigfaltige Gefühle geben, oder der Trieb müsste auf mannigfaltige Art affizierbar sein; welches man auch so ausdrücken könnte: Es gibt mehrere Triebe im Ich.
Diese Mannigfaltigkeit der Gefühle ist nicht zu deduzieren oder aus einem Höheren abzuleiten, denn wir stehen hier an der Grenze. Dieses Mannigfaltige ist mit dem Postulate der Freiheit postuliert. Hinterher wohl wird dieses Mannigfaltige im Triebe sich zeigen als Naturtrieb und wird aus der Natur erklärt werden; aber die Natur wird selber erst zufolge des Gefühls gesetzt.
Diese mannigfaltigen Gefühle sind völlig entgegengesetzt und haben nichts miteinander gemein, es gibt keinen Übergang von einem zum andern. Jedes Gefühl ist ein bestimmter Zustand des Ich. Sonach wäre das Ich selber eine Mannigfaltiges; aber wo bliebe dann die Identität des Ich? Das Ich soll diese Mannigfaltigkeit auf sich beziehen, es soll es als sein Mannigfaltiges ansehen, wie ist dies möglich?
Die Gefühle als unmittelbare Gegenstände der Anschauung sind qualitativ, sie haben nichts miteinander gemein und gehen nicht ineinander über. Das Erlebnis, dass alle Gefühle meine sind, ist der Ursprung des empirischen Ich (welches es zu erklären galt).
Nota II.
Es bleibt die Bizarrerie, dass das, was faktisch elementar ist, in der genetischen Herleitung des Transzendentalphilosophien erst als ein doppelt Vermitteltes vorkommt. Jedes Gefühl ist - sobald ich darauf merke - ein Zustand des ('ganzen') Ich. Dass 'darauf gemerkt' wird, ist nun die Bestimmtheit der idealen Tätigkeit; "Anschauung". Kann ich auf 'Rot, Blau, Süß und Sauer' so merken, dass es 'mein ganzes Ich bestimmt', so momentan es sei? Wird ein sinnliches Gefühl allein durch sozusagen muskuläre Konzentration zu einem "intellektuellen"? - Es bleibt rätselhaft.
Kant beantwortet die Frage, wie das Mannigfaltige im Bewusstsein vereinigt werde, vortrefflich; aber nicht, wie das Mannigfaltige der Gefühle, da doch die Beantwortung des ersten sich auf die Beantwortung des letzten gründet. Er bezieht (vide Kritik der Urteilskraft) alle Gefühle auf Lust und Unlust, nun aber muss es zwischen der Beziehung der Gefühle auf Lust und Unlust ein Mittleres geben, wo-//70//durch diese Beziehung erst möglich werde. Um zu empfinden, ob A oder B mehr Lust gewähre, muss ich sie erst beide beisammen haben, um sie zu vergleichen. Wie bekomme ich nun beide beisammen?
Wenn man z. B. zwei Weine kostet, nicht um zu sehen, welcher von beiden besser schmeckt, sondern nur, um die Verschiedenheit des Gefühls zu wissen, so scheint eine solche Vergleichung unmöglich, denn wenn man den einen schmeckt, so schmeckt man den anderen nicht. Es ist immer nur ein Geschmack, und zum Vergleichen gehört doch zweierlei?
Und jedermann weiß doch, dass er diese Vergleichung anstellen kann.
Man muss hier auf das Verfahren merken. Bei dem Kosten ist Tätigkeit. Man fasst seinen ganzen Sinn auf den Gegenstand, den man kostet, zusammen und konzentriert ihn auf denselben. Man bezieht dieses besondere Gefühl auf die gesamte Sinnlichkeit. So wie dies beim Kosten der ersten geschieht, so geschieht es auch beim zweiten, dadurch werden beide mit etwas Gemeinschaftlichem zusammengehalten, nämlich mit der ganzen Sensibilität, welche in beiden Momenten dieselbe bleibt.
Wie jeder Akt der Reflexion ist er im selben Maße Abstraktion. Das Vergleichen ist nun lediglich ein weiterer Abstraktionsschritt, indem der eine und der andere Geschmack auf einen idealen Gesamtzustand bezogen werden.
Dass dieses Gefühl der Sensibilität nicht gefühlt wird, kommt daher: Die Sensibilität ist nichts Bestimmtes, sondern ein Bestimmbares; würde sie also nicht verändert, so würde nicht gefühlt. Man denke sich das bloße Fühlen als ideale Tätigkeit, dann steht es unter dem Gesetze der idealen Tätigkeit, welche nur im Übergehen vom Bestimmbaren zum Bestimmten etwas sein könne. So ists hier: Das besondere Gefühl ist ein Bestimmtes, als solches kann es nur vorkommen, wenn es auf ein Bestimmbares bezogen wird, und dies ist das System der Sensibilität. Sonach geschieht die Vergleichung der Gefühle nur mittelbar, jedes bestimmte Gefühl wird an das ganze System gehalten.
Es geht in der WL nie darum, was dieses oder jenes 'ist', sondern welche Stelle es im genetischen Prozess der Bewusstwerdung von diesem oder jenem Gesichtspunkt aus jeweils einnimmt. So erscheint, was eben noch ideale Tätigkeit war, auf der nächsten Reflexionsstufe selber als ein Reales, das Gegenstand der Anschauung wird.
Dadurch wird nun dem Dogmatismus aller Vorwand benommen. Selbst die
Gefühle können nicht von außen in uns hineinkommen, sie wären nichts für
uns, wenn sie nicht in uns wären. Soll es Gefühle für uns geben, so
wird das System aller Gefühle a priori vorausgesetzt.
7.
Das System der Sensibilität als solches wird nicht gefühlt, jedes
Gefühl, das bekannt sein soll, muss vorkommen als ein besonderes. Für
die Möglichkeit des Zweckbegriffs müssen daher schon mehrere Gefühle da
sein, es muss schon etwas wirklich gefühlt worden sein. Z. B. ein
besonderer Geruch und Geschmack, den ich noch nicht hatte, kommt vor als
ein besonderer; wenn dieser Geruch oder Geschmack mir nicht vorgekommen
wäre, so hätte ich ihn nicht ausdenken können, indem ich in das System
der Gefühle hineingegangen wäre. Er liegt im System, soll er aber für
mich vorkommen, so muss er besonders vorkommen.
Wie kann nun das Gefühl Gegenstand eines Begriffs werden? Bei der Anschauung wird eine Realität vorausgesetzt,
aber beim Fühlen nicht, das Fühlen ist selbst die Realität, die
vorkommt. Ich fühle nicht etwas, sondern ich fühle mich. -
Welches
ist nun der Übergang vom Gefühl zur Anschauung? Ich kann kein Gefühl
anschauen, außer in mir. Soll ich ein Gefühl anschauen, so muss ich doch
fühlend sein. Es wird schlechthin reflektiert. Das Ich erhebt durch eine neue Reflexion, die mit absoluter Freiheit geschieht, sich über sich selbst, sich, das Anschauende, über sich, in wiefern es fühlend wird, es wird dadurch selbstständig.
Woher nun der Stoff für die freie Wahl komme, ist erörtert worden.
Da dem Ich nichts zukommt, als was es sich nicht [sic!] setze, so muss es diese Beschränkung setzen, und so etwas nennt man ein Gefühl. Da durch die Freiheit gewählt werden soll, muss es ein Mannigfaltiges von Gefühlen geben, welches nur durch seine Beziehung auf das gleichfalls notwendige ursprünglich vorhandene System der Gefühle überhaupt unterscheidbar sein kann.
Verstehe ich es so richtig: Anzunehmen sei ein Trieb, der auf ein Mannigfaltiges von Widerständen stößt und somit ein Mannigfaltiges von Gefühlen möglich macht, die es dem Ich erlauben, zwischen verschiedenen Handlungsmöglichkeiten eine Auswahl zu treffen - ? Der Widerstand wird ein solcher erst, indem die reale Tätigkeit mit dem Objekt synthetisiert und diese Synthese Gegenstand der idealen Tätigkeit=Anschauung wird; diese neue Synthese ist Gefühl.
Als das Höchste und Erste im Menschen wird sowohl in der alten* als neuen** Bearbeitung das Streben oder der Trieb angenommen.
Ideales und Reales liegt nebeneinander und bleiben immer abgesondert. Im Buche* ist zuförderst das erste bestimmt und das zweite von ihm abgeleitet. Hier wird umgekehrt mit dem Praktischen angefangen und dies wird abgesondert, so lange es abgesondert ist und nicht mit dem Theoretischen in Beziehung steht. Sobald aber beide zusammenfallen, werden sie beide miteinander abgehandelt. Somit fällt die im Buche in den theoretischen und den praktischen Teil gemachte Einteilung hier weg.
In beiden Darstellungen wird ausgegangen von einer Wechselbestimmuung des Ich und NichtIch.
*) Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre **) Wissenschaftslehre nova methodo
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