//227// In der Mitte liegt A, an den Seiten β und B, an der einen γ, an der anderen G. Das Ganze sieht aus wie ein Fachwerk, wie eine Reihe, aber das Bewusstsein ist gleich einem Zirkel; γ und G also müssen in einander greifen und durch einander bestimmt werden. Nur durch diese schließen wir den Zirkel und vollenden unsere Aufgabe. Beide müssen in einander eingreifen; oder bestimmter, beide müssen durch einander bestimmt werden.
An diese Bestimmung können wir nicht unmittelbar gehen, ohne uns zu verwirren, wir müssen unsere Untersuchung tiefer fassen. Fichte geht deshalb in die Hauptthesis zurück zu dem im vorigen Paragraphen aufgestellten Ich, an welches alles Mannigfaltige dieser Untersuchuung anzuknüpfen ist.
1) Das Ich selbst als ein Individuum fand sich bestimmt durch die absolut zu denkende Aufgabe, sich selbst zu bestimmen; nach dem Obigen, was Kant den kategorischen Imperativ nennt. Die Freiheit ist nicht, wie Sein, beschränkt, sie muss ihre Begrenztheit umfassen, sie muss sich selbst begrenzen. Auch diese Bestimmtheit lässt sich auf zwei Seiten ansehen:
A) als notwendiges Bestimmen, active subiective idealiter, und dies ist jenes Sollen[;] ein Sollen ein notwendiger Begriff [sic].
B) obiective als Etwas bestimmen, und dann wird die Bestimmtheit ein bleibender Zustand. Es [sic] wird der Charakter (Grundcharakter) und das Wesen des Ich.
Allenthalben waltet diese Duplizität, auch hier bei dem Höchsten: Bestimmen bestimmt, handeln Handlung ist dasselbe; [je] eine aus zwei Ansichten. Hier ist nur Aufgabe zu einer Handlung, nun kann man die Notwendigkeit erst denken als ein Sein, als eine Bestimmtheit. Dies liegt in der doppelten Ansicht.
Diese Ansicht ist eine notwendige, zufolge der originären Duplizität des Ich notwendig. Welche Bestimmtheit es sei, ist bekannt, des Individuum[s], als Setzen meiner als einzeln aus mehreren, durch das mit dem Setzen meiner verknüpfte Setzen anderer. Es ist uns nicht mehr hier zu tun um das //228// bloße Denken, sondern um die Wahrnehmbarkeit.
Man unterscheide sorgfältig Anschauen und reines Denken, wie oben gelehrt wurde. Ich bin ja nur Produkt meines reinen Denkens. Nun ist gesagt, ich greife mich heraus aus einer Vernunft außer mir. Nun würde es aussehen, als ob ich eine Freiheit außer mir nur dächte. Aber dies ist nicht der Fall, sondern es ist die Rede von einer Wahrnehmung der Freiheit und Vernünftigkeit außer mir, und dies muss deduziert werden.
Es ist zwar wahr, dass die Vernunft außer uns nur ein Noumen ist. Ich halte jeden für vernünftig und frei, aber niemand verlangt von mir, dass ich seine Vernünftigkeit hören und sehen solle oder durch einen äußeren Sinn wahrnehmen solle; aber wohl, dass ich aus gewissen Phänomenen dies schließen soll. Aber es muss in der Sinnenwelt Erscheinungen geben, auf welche ganz allein wir genötigt sind, den Gedanken der Vernunft überzutragen, auf welche allein uns dies möglich wird. Sie müssten mit jenem reinen Denken zusammenhängen; sie zu deduzieren ist hier unsere Aufgabe.
2) Also die Aufgabe ist: Das Setzen der Bestimmtheit, oder der Denkakt in diesem Setzen unsrer als Individuum, welches Wahrnehmung ist und auf eine Wahrnehmung außer uns deutet, soll beschrieben werden. Zwar denken wir uns in die Sinnenwelt nur als Ursache hinein, und in dieser Hinsicht sind andere freie Wesen auch Noumene, aber dies ist doch nur, in wiefern wir unser Bestimmen als subjektives und ideales hinstellen. Es ist aber auch notwendig, dass dieses auch objektive Ansicht der Bestimmtheit habe. Diese ist Wahrnehmung, folglich: Ich bin Individuum im Reiche der Vernünftigkeit, mit diesem hängt mein Denken zusammen; deswegen auch eine Ansicht der Objekte mit der Ansicht der anderen freien Wesen. Dies soll nicht in der gewöhnlichen synthetischen Methode vorgetragen werden, die Synthesis wird schon drinne liegen.
Anmerkung: Ich bin in diesem Denken meiner-selbst selbst [sic] beschränkt und gebunden wie bei allem reellen Denken, aber nur, in wiefern ich mir selber und meiner eignen Natur überlassen bleibe; unter dieser Bedingung gehe ich nicht über jene Grenze hinaus. Da es aber Beschränktheit der Freiheit ist, so kann ich durch den Gebrauch der Freiheit, der hier Missbrauch ist, über diese Grenze hinausgehen.
Man weiß, dass es zweierlei Beschränktheit gibt; z. B. wenn man mir meine Hände und Füße fesselt oder wenn mich jemand anredet. Beschränktheit des physischen und moralischen Vermögens. - Es ist inhuman, dem, mit dem man reden will, in die Rede zu fallen, aber nicht physisch unmöglich. Dies letztere ist die Beschränktheit, von der Fichte hier redet, eine moralische Beschränktheit. -
Es ist inhuman, dem, mit dem man etwas reden will, in die Rede zu fallen, aber nicht physisch unmöglich. Dies letztere ist die Bestimmtheit, von der Fichte hier redet, eine moralische Bestimmtheit.
B. Nun kann sich ein
Ich doch nur als Ich mit dem Charakter des Ich, der nur Freiheit ist,
nur als handeln sollend und könnend finden. Man wende obigen Unterschied
hier an. Ich bin beschränkt heißt nicht: Ich bin so breit und lang,
nein, es heißt: Mein handeln Können und Sollen ist bechränkt.
So viel Merkmale hier dem Charakter des Ich beigefügt werden, müssen erörtert werden [sic].
Ich finde mich
zuvörderst als handeln könnend, rein als Handelndes bin ich gemacht
durch mich, durch den Willen, nicht aber mir selbst gegeben. Als handeln
Sollendes kann ich mich finden. Was ist denn nun das Denken des
Handelns seinem Charakter nach für ein Denken? Das Handeln ist ein
Fortfließen, es ist also ein versinnlichtes Denken. Nur erscheint mir
das bloße Entwerfen des Zweckbegriffs nicht als Handeln, sondern als bloßes Denken, als etwas //230// außer mir, als ein Ding. Wie ist beides verbunden?
Durch die Anschauung
meines Handelns, die insbesondere auch drum nach dem Obigen stattfinden
muss, weil bloß durch sie eine Zweckerfüllung entsteht. Ich finde mein
Handeln also als etwas Gegebnes, als ein Mögliches.
Gesetzt, ein Mensch
hätte noch nichts getan (welches absurd ist und nur auf einen Augenblick
gesetzt worden). Dennoch soll er etwas tun, es wird also postuliert,
dass er schon einen Begriff vom Handeln habe.
Dieser Begriff, der bei ihm nicht aus der Erfahrung kommen kann,
müsste beim ihm ein Begriff a priori sein. So hier. Ich finde mich als
Handelnsollendes, da liegt das Handeln schon drinnen. Das ist ganz
klar eine Versinnlichung, die zusammengesetzt ist aus dem Zweckbegriff,
der kein Handeln ist, und dem Realisieren, das nicht gefunden wird; also
gleichsam in der Mitte schwebend.
Die Wissenschaftslehre begründet nicht nur eine Anthropologie, was sie rechtfertigt, sondern sie beruht auch auf ihr, was sie motiviert. "Handeln ist ein Begriff a priori" - für das Idividuum so, wie der Philosoph das Wollen dem Ich zu Grunde legt.
Was schaue ich denn nun an? Etwas durch die Einbildungskraft Versinnlichtes. Im Handeln ist nicht bleibende Gestalt, weder des Subjekts noch Objekts. Das Denken des Handelns ist ganz sinnlich, und eine solche Ansicht ist von der Synthesis, durch die das Bewusstsein zustande kommt, unzertrennlich.
Nun muss ich zu dem bestimmten Handeln ein Bestimmbares setzen. Da das Bestimmte sinnlich ist, muss das Bestimmbare auch sinnlich sein. Das Bestimmbare war nach dem Obigen meine Individualität, meine sinnliche Kraft, daher muss dieses auch als ein Sinnliches erscheinen.
Was ist nun meine Individualität? Mein versinnlichtes Sollen. Eine Aufforderung zur freien Tätigkeit als Faktum in der Sinnenwelt. Es ist die Beschränktheit meiner Freiheit in einer besonderen Sphäre, oder bestimmte Bestimmbarkeit meiner selbst.
Die Aufforderung eines Sollens muss also erscheinen als Wahrnrhmung, welche eine ganz eigne Idee dieses Systems [=der WL] ist, eine ganz eigne Erklärungsweise, die Wirksamkeit in der Sinnenwelt zu erklären. Sie ist nichts als objektive, versinnlichte Wahnehmung meiner Bestimmung, auf andere und mit anderen Vernunftwesen in Wechselwirkung zu treten.
Ich finde mich in mir selbst aufgefordert, frei zu handeln in einer bestimmten Sphäre. Das passendste Beispiel davon ist das einer Frage. In //231// ihr ist Bestimmtheit und Bestimmbarkeit, hier ist bestimmte Bestimmbarkeit: leiden und affiziert werden und Freiheit.
B. Nun kann sich ein
Ich doch nur als Ich mit dem Charakter des Ich, der nur Freiheit ist,
nur als handeln sollend und könnend finden. Man wende obigen Unterschied
hier an. Ich bin beschränkt heißt nicht: Ich bin so breit und lang,
nein, es heißt: Mein handeln Können und Sollen ist bechränkt.
So viel Merkmale hier dem Charakter des Ich beigefügt werden, müssen erörtert werden [sic].
Ich finde mich
zuvörderst als handeln könnend, rein als Handelndes bin ich gemacht
durch mich, durch den Willen, nicht aber mir selbst gegeben. Als handeln
Sollendes kann ich mich finden. Was ist denn nun das Denken des
Handelns seinem Charakter nach für ein Denken? Das Handeln ist ein
Fortfließen, es ist also ein versinnlichtes Denken. Nur erscheint mir
das bloße Entwerfen des Zweckbegriffs nicht als Handeln, sondern als bloßes Denken, als etwas //230// außer mir, als ein Ding. Wie ist beides verbunden?
Durch die Anschauung
meines Handelns, die insbesondere auch drum nach dem Obigen stattfinden
muss, weil bloß durch sie eine Zweckerfüllung entsteht. Ich finde mein
Handeln also als etwas Gegebenes, als ein Mögliches.
Gesetzt, ein Mensch
hätte noch nichts getan (welches absurd ist und nur auf einen Augenblick
gesetzt worden). Dennoch soll er etwas tun, es wird also postuliert,
dass er schon einen Begriff vom Handeln habe.
Dieser Begriff, der bei ihm nicht aus der Erfahrung kommen kann,
müsste beim ihm ein Begriff a priori sein. So hier. Ich finde mich als
ein Handelnsollendes, da liegt das Handeln schon drinnen. Das ist ganz
klar eine Versinnlichung, die zusammengesetzt ist aus dem Zweckbegriff,
der kein Handeln ist, und dem Realisieren, das nicht gefunden wird; also
gleichsam in der Mitte schwebend.
Die Wissenschaftslehre begründet nicht nur eine Anthropologie, was sie rechtfertigt, sondern sie beruht auch auf ihr, was sie motiviert. "Handeln ist ein Begriff a priori" - für das Idividuum so, wie der Philosoph das Wollen dem Ich zu Grunde legt.
Was schaue ich denn nun
an? Etwas durch die Einbildungskraft Versinnlichtes. Im Handeln ist
nicht bleibende Gestalt, weder des Subjekts noch Objekts. Das Denken des
Handelns ist ganz sinnlich, und eine solche Ansicht ist von der
Synthesis, durch die das Bewusstsein zustande kommt, unzertrennlich.
Nun muss ich zu dem
bestimmten Handeln ein Bestimmbares setzen. Da das Bestimmte sinnlich
ist, muss das Bestimmbare auch sinnlich sein. Das Bestimmbare war nach
dem Obigen meine Individualität, meine sinnliche Kraft, daher muss
dieses auch als ein Sinnliches erscheinen.
Was ist nun meine
Individualität? Mein versinnlichtes Sollen. Eine Aufforderung zur freien
Tätigkeit als Faktum in der Sinnenwelt. Es ist die Beschränktheit meiner
Freiheit in einer besonderen Sphäre, oder bestimmte Bestimmbarkeit
meiner selbst.
Die Aufforderung eines Sollens muss also erscheinen als Wahrnehmung, welche eine ganz eigne Idee dieses Systems [=der WL] ist, eine ganz eigne Erklärungsweise, die Wirksamkeit in der Sinnenwelt
zu erklären. Sie ist nichts als objektive, versinnlichte Wahnehmung
meiner Bestimmung, auf andere und mit anderen Vernunftwesen in
Wechselwirkung zu treten.
Ich
finde mich in mir selbst aufgefordert, frei zu handeln in einer
bestimmten Sphäre. Das passendste Beispiel davon ist das einer Frage.
In //231// ihr ist Bestimmtheit und Bestimmbarkeit, hier ist bestimmte
Bestimmbarkeit: leiden und affiziert werden und Freiheit.
3) Diese Aufforderung,
die ganz beschrieben ist, muss, versteht sich, im wirklichen
Bewusstsein erklärt werden. Sie lässt sich nur erklären durch ein freies
Handeln außer mir. (Ich knüpfe an das Bestimmte ein Bestimmbares und
Bestimmendes an. Dies ist nach Denkgesetzen nur ein Phänomen, so hier:
An diese Aufforderung knüpfe ich etwas an, das heißt erklären.) Der
Beweis beider Behauptungen hängt zusammen. Die Aufforderung ist, für
sich betrachtet, ein Bestimmtes, obwohl das mir Gegebene zu meinem
Handeln sich verhält wie ein Bestimmbares; z. B. bei der Frage ist die
Frage in Beziehung auf meine Antwort ein Bestimmbares, aber ist doch an
sich auch etwas Bestimmtes, indem er dies und nichts anderes fragt. -
Die Aufforderung liegt demnach in der Mitte und kann als bestimmt und bestimmbar gefasst werden, sie ist relativ. Sehen
wir sie als Bestimmte an, so muss ein Bestimmbares hinzugesetzt werden.
Was ist nun das Bestimmbare dazu und das Bestimmende? Nichts als ein
Handeln ist das Bestimmende, da in diesem Zustand nur ein Handeln
gedacht wird. Es wird sonach ein wirkliches freies Handeln außer mir
gedacht als der Grund von der in mir vorkommenden Aufforderung. Dieses
wirlich Bestimmende und Bestimmbare ist ein wirkliches freies Wesen
außer mir, da das Gefundene ein Handeln sein soll, welches lediglich aus
einer freien Intelligenz erklärt werden kann.
Der gemeine
Menschenverstand schließt auf der Stelle so, und hier hat er das volle
Recht, so zu sagen, da er im Gebiete der Erscheinung steht, denn die
Aufforderung ist ein Phänomen. Scholastisch ausgedrückt ist hier ein
Übergehen von dem Bestimmten zu dem Bestimmbaren, und in die Mitte würde
das Bestimmende gesetzt, welches den Übergang vom Bestimmbaren zum
Bestimmten macht. Also von dieser Aufforderung wird notwendig
geschlossen auf eine Intelligenz außer mir. Das Handeln derselben
erscheint in mir, sie selbst aber nicht, sie ist also ein //232// bloßes Noumen.
Nota II.
Gemeiner Menschenverstand ist die Vernunft, wo immer sie sich mit Phänomenen beschäftigt - ob in der theoretischen Physik oder beim Kaffeekochen. Philosophie ist sie, sobald sie kritisch wird - zwischen Phänomenen und Noumenen unterscheidet - und den transzendentalen Standpunkt einnimmt.JE
Die freie Intelligenz
außer mir ist ganz bestimmt das Gegenstück zu mir selbst [-] nur durch eine
ganz andre Art des Aufsteigens. Bei mir gehe ich von dem Begriffe der
Freiheit aus und gehe auf die einzelne freie Handlung über. Hier aber
bei dem Wesen außer mir steige ich von der erschienenen Handlung auf zu
der Ursache derselben, auf die ich bloß schließe, die ich nicht
empfinden kann.
Ich bin derjenige, der
seinem Zweckentwerfen unmittelbar beiwohnt, der sich selber Noumen ist,
und dann erst auf die sinnliche Erscheinung fortgeht. Du bist [der],
der mir nicht als Noumen, sondern als Erscheinung vorkommt. Meiner
Vernunft bin ich mir unmittelbar bewusst und schließe nicht bloß auf
sie; aber [auf] Vernunft außer mir schließe ich nur. Diese Notwendigkeit liegt in dem Übergehen von dem Bestimmten zum Bestimmbaren.
Bemerkung: Das
Handeln des freien Wesens außer mir, auf welches so geschlossen wird,
verhält sich wie der angefangene Weg zu der Fortsetzung desselben. Es
ist mir gegeben eine Reihe der Glieder, durch welche der Zweck bedingt
ist; eine Reihe, die ich vollenden soll. Zuförderst ist sonach alles
Handeln freier Wesen ein Hindurchgehen durch unendlich viele
Mittelglieder, die bloß durch die Einbildungskraft gefasst werden - wie
bei der Bewegung durch unendlich viele Punkte. Es fordert mich jemand
auf heißt: Ich soll an eine gegebene Reihe des Handelns etwas
anschließen. Er fängt an und geht bis auf einen gewissen Punkt, von da
an soll ich anfangen.
Nun liegt hier ein
unendliches Mannigfaltiges der Handlungsmöglichkeiten, welche bloß durch
Einbildungkraft zusammengefasst werden. Denn das Handeln mehrerer
Vernunftwesen ist eine einzige durch Freiheit bestimmte Kette. Die
ganze Vernunft ist nur ein einziges Handeln. Ein Individuum fängt an,
ein anderes greift ein und so fort, und so wird der ganze Vernunftzweck
durch unendlich viele bearbeitet und ist das Resultat von der Einwirkung aller.
Es ist dies keine Kette
physischer Notwendigkeit, weil von Vernunftwesen die Rede ist. Die
Kette geht immer in Sprüngen, das Folgende ist immer durchs Vorher-//233//gehende bedingt; aber dadurch nicht bestimmt und wirklich gemacht (vide Sittenlehre). Die Freiheit besteht darin, dass aus allen Möglichen nur ein Teil an die Kette angeschlossen werde.
Die Wissenschaftslehre erzählt nicht nach, 'wie es wirklich ist', sondern stellt dar, was in der Vorstellung wirklich vorkommt und weshalb das notwendig ist. Hier steht also sinngemäß: Alles Reden von Vernunft hat einen intelligiblen Sinn nur, wenn man sie so auffasst. Wird der Weg fortgegangen, so wird es eine Kette sein. Aber sie wird aus Freiheit fortgewirkt. Wenn wir uns also (in der Abstraktion) denken, dass sie einmal an ein Ende käme, so wäre es nicht durch physische Notwendigkeit als Folge seiner Ursache, sondern durch Freiheit als Zweck gesetzt: 'bedingt, aber nicht bestimmt'. Die Freiheit hätte an jedem Punkt auch andere Möglichkeiten wählen und andere Teile anfügen können. Der 'Endzweck' wäre ein anderer geworden.
Wenn Hans Vaihinger die Wissenschaftslehre nova methodo gekannt hätte, wären ihm die Augen übergegangen und er hätte auf seine dickleibige Philosophie des Als Ob achselzuckend verzichtet. Und wenn Fichte seinen Weg nova methodo 'zuende gegangen' wäre, hätte er sich nie auf die dogmatische Auffassung eines Realabsoluten und eines gegebenen Endzwecks der Vernunft einlassen können.
4. Wir gehen auf den
Punkt zurück, von dem wir ausgingen, um die Synthesis auszubreiten und
näher zu bestimmen. Die Aufforderung an mich war, wie jeder Eindruck,
als Wahrnehmung (nicht an sich) Beschränkung meines physischen
Handelns, sonach meiner physischen Kraft; so wie alles Sein Aufhebung
meines Handelns ist. Weil dies außer mir geschieht, kann ich es nicht;
nicht schlechthin, sondern bloß mir selbst überlassen kann ich es nicht,
wohl [aber], wenn ich die Grenze durchbrechen wollte.
Diese Aufforderung heißt und ist Beschränkung meines physischen
Handelns in gewisser Rücksicht. Es ist klar, dass, um die
Beschränktheit zu erklären, ich eine physische Kraft annehmen muss, denn
es wirkt ja doch nur Physisches auf Physisches. Man bemerke wohl den
Übergang. Vorher war bloß von dem Handeln die Rede, das gibt eine
physische Kraft; sobald von Beschränktheit meiner die Rede ist, wird
dies bestimmt; wie nun von einem Handeln in mir auf ein Handeln außer
mir geschlossen wurde, so wird hier von der sinnlichen Kraft als [einem] Bestimmten auf ein homogenes (weil es in demselben Akt des Denkens vorkam) Bestimmtes geschlossen.
Es steht so: Dass ich
mich aufgefordert finde, ist nichts als sinnliche Aufgabe, mich selbst
zu beschränken; davon schließe ich auf ein vernünftiges Wesen, und da
sie ein sinnliches Handeln ist, auf eine sinnliche Kraft dieses
sinnlichen [sic] Wesens, ich realisiere ein Vernunftwesen als sinnliche Kraft außer mir.
Auf ein bestimmendes
Physisches wird also geschlossen, welches zugleich auch ein Bestimmbares
ist, welches demnach nicht gerade so handeln musste, sondern in seinem
Bestimmen ausgewählt hat von einer ins Unendliche verschiedenen
Mannigfaltigkeit. Kurz, es ist eine physissche Kraft wie die meinige,
die bloß von der Freiheit abhängt und bloß von ihr bestimmt wird auf
unendlich mannigfaltige Weise.
Ich denke sie, ich denke sie - wie alles - bestimmt als Quantum, als individuelle //234//
Kraft. Zugleich erscheint sie mir als etwas Sinnliches im Raume. Also
das Wirkende zu der Aufforderung fällt mir notwendig aus als ein
materieller, bechränkter Körper. Mein Denken der Vernunft außer mir ist
sinnlich, ich denke so einen Körper nicht bloß, sondern realisiere ihn
auch in der sinnlichen Anschauung, es ist damit Gefühl
verknüpft, nämlich das der mir angemuteten Selbstbeschränkung. Dadurch
wird eine sinnliche Gestalt durch Anschauung hinge- worfen.
Den Zusammenhang
zwischen idealem und reellem Denken weiß nur die Philosophie, dem
gemeinen Menschenverstand ist beides eins. So verhält es sich überall,
wo sie die Duplizität des Denkens erkennt. So hier: Niemand fragt nach
dem Zusammenhange des Willens mit dem Körper. Darüber hat sich bislang
auch kein Philosoph gewundert, beides ist ihm ganz eins: Leib und Seele;
z. B. ich habe mich geschnitten. So mit dem vernünftigen Wesen außer
uns: Es ist da immer eine doppelte Ansicht von ihnen, ohne dass wir es
inne werden.
Ein gewisser Leib und
der Begriff eines vernünftigen Wesens sind in mir unzertrennlich
vereinigt. Letzter ist doch nur ein Ideal, etwas Gedachtes; er denkt die
Vernunft in das Phänomen hinein. Beides ist unzertrennlich vereinigt;
die erstere denke ich nur, mithin auch nur das letztere. Sie ist auch
etwas in mir, und letzteres ist auch das erstere, nur von der anderen
Seite. Dies stellt die transzendentale Philosophie deutlich dar.
Resultat: Auf
vernünftige Wesen außer mir schließe ich aus meiner eigenen
Beschränktheit durch Freiheit, d. h. aus einer Aufgabe, mich zu
bechränken. Dieses rein erblickt als Aufgabe, ist in der Versinnlichung
Aufforderung zur beschränkten Tätigkeit. Das Bestimmbare zu ihr ist
bestimmbar in den Vernunftwesen außer mir, und in wiefern es von mir
erblickt wir, ist es reelle physische Kraft. Das Bestimmbare zu ihr ist
ein Objekt der Körperwelt. Beides ist unzertrennlich vereinigt und ist
dasselbe pp.. Beschränktheit und Freiheit ist der synthetische
Mittelpunkt. Die Freiheit außer mir wird gedacht, das Übrige angeschaut.
//235// 6. Dieses Vernunftwesen ist Körper, weil es wirksam erscheint, sein
Körper ist bestimmbar durch Freiheit; so fällt er mir aus, weil ich
angenommen habe, er sei ein freies Wesen. Er ist modifizierbar ins
Unendliche; nun ist Materie nur durch Teilung und Bewegung
modifizierbar, hierin müsste also eine Modifikabilität ins Unendliche
bestehen. Es müsste selber darin
bestehen, dass es von der Freiheit abhinge, was als Teil und was als
Ganzes betrachtet werden sollte; dass jedem Teil eine eigne und eine mit
dem Ganzen gesetzte Bewegung zugehöre; dass er artikuliert sei. Dies findet sich in der Erfahrung, von dieser Eigenschaft hängt alle Wirksamkeit in der Sinnenwelt ab.
Ferner: Dieser Körper
wird der Freiheit vorausgesetzt, denn er ist ja das Bestimmbare zur
Freiheit, welches im Bewusstsein in der Reihe des Denkens immer
vorausgeht; eben dadurch wird er zu einem Gefundenen, Gegebenen, zu
einem eigentlichen Objekte. So wie das Subjekt handelt, ist dieser
Körper da; er ist daher Natur und insbesondere Naturprodukt.
Letzteres bedarf einer
Erklärung und eines Beweises: Die Natur ist nach dem Obigen Noumen in
einer gewissen Rücksicht, und das ist alle Natur, sie ist durch sich
selbst gesetzt, sie ist, was sie ist, weil sie es einmal ist, und nur
insofern ist sie Natur zu nennen. Man könnte sagen, wie Spinoza sagt: natura naturans, welches
sie ist, so gewiss sie Natur ist, bestehend, weil sie besteht. Nur
inwiefern sie durch sich selber ist, heißt sie so. Der artikulierte Leib
ist Natur, er ist also auf diesem Gesichtspunkt, dem gemeinen
Gesichtspunkt, allem Bewusstsein vorausgesetzt, er ist Teil der Natur,
denn außer ihm ist der meinige ja auch da, und Objekte auch, nach dem
Obigen.
Dieser Körper ist
Natur, Teil der Natur, ist ferner ein bestimmter Teil der Natur, und
zwar ein durch sich selber bestimmter besonderer Teil; an Letzterem
hängt der Beweis. (Von der Artikulation aus soll etwas in der Natur
bewiesen werden,) er ist derjenige Teil der Körperwelt, der durch den
bloßen Willen des Vernunftwesens in Bewegung gesetzt wird. Aber er geht
nur bis zu einer gewissen Grenze im Raume, von welcher Grenze aus auch
durch bloßen Willen nichts ausgerichtet //236// werden kann, weil das Vernunftwesen ein endliches sein soll.
Folglich: Die Natur produziert durch sich selbst, das ist durch mechanische Gesetzmäßigkeit (denn an Freiheit durch Willen und Begriff ist hier nicht zu denken), reelle[s] Ganze[s]. Also solche, die an sich Ganze sind, durch ein notwendiges Denken, nicht etwa lediglich in unserer Freiheit des Denkens. (Durch Freiheit der Abstraktion kann ich alles trennen, dann habe ich aber nur ein eingebildetes Ganze[s], wie in allen abstrakten Begriffen.) Jene[s] reale Ganze muss ich notwendig so zusammensetzen.
Ferner ist bekannt der Begriff der Organisation, auf diesen kommen wir jetzt.
Das 'höchste Ideale' ist nicht die Tathandlung, das sich-selbt-Setzen des Ich, indem es ein Nichtich setzt: das ist das elementar Ideale; sondern ist die Aufgabe für das sich-selbst-gesetzt-habende Ich, sich zu begrenzen. Ohne diese käme keine sinnliche Welt alias Natur und schon gar keine ideelle, kein Reich des Intelligiblen, keine 'Reihe vernünftiger Wesen außer mir' zustande. Zu dieser Aufgabe wurde zunächst aufgestiegen; konstruktiv, spekulativ. Im zweiten Gang - Abstieg - wird dazu das sinnliche Material aufgesucht.
Überblick. Wir gingen
zu Anfang des Paragraphen aus davon: Es müssen in den letzten Gliedern
unserer Synthesis (Reich der Vernunftwesen und von der anderen Seite
eine feste Natur) wieder in wechselseitiger Bestimmung sein. Da beide
in //237//
einem Bewusstsein vorkommen, muss das Reich der vernünftigen Wesen
durch das Reich der Natur hindurch erblickt und bestimmt werden et vice versa. Das vernünftige Reich erscheint daher als Teil der Natur, als Naturprodukte und Objekte, in wiefern sie sinnlich sind.
Umgekehrt: Ist etwa
auch durch unsere Operation auch die Natur wieder bestimmt worden? Ja!
Wir haben vor der Hand gefunden, dass wir besondere Naturobjekte
anschauen, da sie uns vorher als ein Ganze[s], ein Nicht-Ich erschien. Jetzt erscheint sie uns als System einzelner reeller Ganze[r], weil wir vernünftige sinnliche Wesen unseres Gleichen annehmen mussten.
7. Es folgt noch mehr,
es wird noch etwas ganz anderes in der Natur realisiert. Alle diese
Teile nämlich, aus welchen wir den Leib zusammensetzen, gehören zusammen
und machen nur in ihrem Zusammenhange ein Ganzes aus. Diese Ganzheit
ist bloß Resultat der Wirksamkeit der Natur; sie ist es, die diese Teile
zu einem Ganzen gemacht hat.
Was heißt das? Der
Körper eines Vernunftwesens außer uns ist notwendig teilbar ins
Unendliche, wie sich aus dem Begriff der Materie versteht, alle sind
Teile der Natur. Jeder Teil ist demnach durch sich selbst gesetzt, hat
in sich den Grund seines Bestehens, und machen nur in der Verbindung ein
Ganzes aus; außerdem sind sie gar nichts (aus dem Begriffe der
Artikulation zeigt sich dies). Dies, dass die Teile beisammen sind und
nur durch die Verbindung etwas
sind, ist durch die Natur so, nicht etwa durch Kunst, da jeder Teil zu
betrachten ist als durch sich selbst gesetzt und nur in der Verbindung
etwas sein soll, so liegt der Grund dafür in den Teilen selbst. Jeder
Teil ist so beschaffen, dass er ohne die übrigen nicht bestehen kann,
und alle übrigen nicht ohne diesen einigen.
Dieses Gesesetztsein der Natur, dieses Gesetz der Natur nennt man Organisation, und einen solchen Körper mit solchem Zusammenhange nennt man organisiert. Alle Teil der Natur können nur, insofern sie alle beieinander sind, bestehen, //238//
nicht ohne einander. Dass das so ist, davon liegt der Grund in den
Teilen oder in der ganzen Natur selbst. Das ganz Universum ist auch
ein organisiertes Ganze[s]
- wie der Leib eines Vernunftwesens. Es ist es notwendig, weil einzelne
organisierte Ganze in ihr möglich sind; welche bloß durch die gesamte Kraft
der Natur möglich sind, sie sind bloß Produkt der Organisation des
ganzen Universum[s].
8. Sonach wäre unsere
Aufgabe gelöst, denn beide Bestimmbaren an beiden Enden der Synthesis
sind durch einander bestimmt. Das Individuum der Vernunftwelt wird
demnach in die Sinnenwelt hineingesetzt und eins mit ihr in einer
gewissen Rücksicht. Umgekehrt erhält die Sinnenwelt ein Analogon der
Freiheit, id est es kommt in sie der Begriff eines Hervorbringens, eines Erschaffens; es ist aber Erschafffen nach bestimmten festen Regeln.
Notabene den
Weg, wie wir zum Resultate gekommen sind. Wir sind bloß von einem Ende,
von der idealen Reihe ausgegangen und sind von diesem unvermerkt zum
anderen, zu der Bestimmung der Sinnenwelt gelangt. Der Analogie nach
hätten wir glauben sollen, wir würden von beiden Gliedern β und B
einzeln haben ausgehen müssen, beide untersuchen, und nun erst in der
Mitte ein X finden, in dem sie zusammengetroffen hätten [sic].
Dies war nicht nötig,
da das hier Gedachte Gesetz der Wechselwirkung ist, in welchem ein
Ineinandergreifen der wirkenden Glieder liegt, so dass man von einem
aufs andere kommt, wenn man es nur richtig fasst. Von der anderen Seite
hätten wir nicht fortkommen und unser Ziel nicht erreichen können. So
konnten wir es, weil Freiheit und Selbsttätigkeit das Erste und Höchste
ist, von dem die Versinnlichung in der Sinnenwelt sich leicht zeigen
lässt.
Es ist eine Wechselwirkung, die wir aufgestellt haben. Zuvörderst: Die Vernunftwelt steht mit sich selbst in Wechselwirkung, id est vernünftige
Wesen wirken auf einander ein, oder transzendental: In jedem Individuum
ist etwas, weshalb es auf Vernunftwesen außer sich schließen muss.
Ebenso steht die Sinnenwelt mit sich selbst in Wechselwirkung, denn das
aufgestellte Gesetz der Organisation ist bloß //239// Zusammenwirken aller Naturkräfte im Universum.
Die Vernunftwelt steht
in Wechselwirkung, die Sinnenwelt und beide Welten stehen mit einander
in gegenseitiger Wechselwirkung und erscheinen so: Zuvörderst in
artikulierten Leibern greift Natur und Freiheit in einander
vermittelst der Freiheit des Individuums, und so wirkt Freiheit in die
ganze Natur. Umgekehrt, die Natur bringt erst artikulierte Leiber hervor
und produziert auf dem gemeinen Standpunkt Vernunftmöglichkeit und
greift ins Reich der vernünftigen Wesen ein.
Dadurch ist unsere
Synthese geschlossen, und da alles, was im Bewusstsein vorkommt, sie
enthält, so ist unsere Aufgabe vollständig gelöst und unsere Arbeit
vollendet.
Die Beschränkteit des Ich, versinnlicht und als Wahrnehmung, erscheint als Auffo[r]derung zu einem freien Handeln. Diese Wahrnehmung als Beschränkung unserer physischen Kraft - vorausgesetzt, dass wir uns, uns selbst überlassen, [sic] es wird sonach als das Bestimmende zu dieser Beschränkung eine physische Kraft außer uns gesetzt, die durch freien Willen eines durch diesen Willen bestimmten und charakterisierten* freien Individuums außer uns regiert** werde. Das Bestimmbare davon gibt den Begriff und die Wahrnehmung eines artikulierten Leibes, einer Person außer uns.
//240// Bemerkung: Nur als organisiert und organisierend ist die Natur erfahrbar, außerdem* wird man durch das Gesetz der Kausalität immer weiter hinausgetrieben. Dadurch fallen die Kantischen Antinomien der Vernunft ganz weg, da sie bloß Antinomien des freien Räsonnements sind.
'Der Umfang dessen, was notwendig im Bewusstsein vorkommen muss, ist erschöpft.' Mit andern Worten, Die Grundlage, auf der ein Wissen baut, das vernünftig ist, ist hiermit gelegt. Die wirkliche Vernünftigkeit fängt an diesem Punkt an: "eine Naturwissenschaft". Man muss allerdings die Vernunft "als Ganzes" nehmen, nämlich als Ganzes - als Subjekt - der Natur als seinem (ganzen) NichtIch entgegensetzen. So wird eine Synthesis möglich.
Beide Untersuchungen erschöpfen die theoretische Philosophie oder die Weltlehre. Kurz, die theoretische Philosophie lehrt, wie die Welt ist und sein muss, wie sie uns gegeben wird. Ihr Resultat ist reine Empirie, hiermit endigt sie sich. Im gemeinen Leben wird das Wort Erfahrung von dem gedankenlosesten Menschen gebraucht, er rechnet seine Träumereien zur Erfahrung. Zuerst muss ausgemacht werden, was Erfahrung sein kann. Dies zu bestimmen hat ein großes Verdienst, dies tut die theoretische Philosophie, sie stellt auf, was notwendig Erfahrung ist und sein kann.
*
Dies ist für jedes Individuum auf besondere Weise gültig. Jeder trägt sein Gewissen in sich und hat sein ganz besonderes. Aber die Weise, wie das Vernunftgesetz allen gebiete, lässt sich nicht in abstracto aufstellen. So eine Untersuchung wird von einem hohen Gesichtspunkte aus angestellt, auf welchem die Individualität verschwindet und bloß auf das Allgemeine gesehen wird. Ich muss handeln, mein Gewissen ist mein Gewissen. In sofern ist die Sittenlehre individuell.
In Fichtens Moral sind die richtigsten Ansichten der Moral. Die Moral sagt schlechterdings nichts Bestimmtes – sie ist das Gewissen – eine bloße Richterin ohne Gesetz. Sie gebietet unmittelbar, aber immer einzeln. Sie ist durchaus Entschlossenheit. Richtige Vorstellung vom Gewissen. Gesetze sind der Moral durchaus entgegen.
So nicht in der allgemeinen Sittenlehre; Wissenschaftslehre des Praktischen, die insbesondere Ethik wird. D. h. das Praktische ist Handeln überhaupt, das Handeln kommt aber durch die Grundlage immerfort vor, indem auf [unleserliches Wort] der ganze Mechanismus gründet. Daher kann die besondere Wissenschaftslehre des Praktischen nur sein eine Ethik. Diese lehrt, wie die Welt durch vernünftige Wesen gemacht werden soll, ihr //242// Resultat ist Ideal, inwiefern dies Resultat sein kann, da es nicht begriffen werden kann.
Bemerkung: Beides, die theoretische und praktische Philosophie ist Wissenschaftslehre, beide liegen auf dem transzendentalen Gesichtspunkt; erstere, weil ja hier auf das Erkennen gerechnet wird, also auf etwas in uns, und nicht geredet wird von einem Sein; letztere, weil überhaupt gar nicht das Ich, das Individuum betrachtet wird, sondern die Vernunft überhaupt in ihrer Individualität. Die erstere Lehre ist konkret, die letzte ist die höchste Abstraktion: der des Sinnlichen zu dem reinen Begriffe als einem Motiv.
3) Es wird in der Ethik nicht das eine oder andere Individuum betrachtet, sondern die Vernunft überhaupt. Nun ist die Vernunft dargestellt in mehreren Individuen, die sich in der Welt durchkreuzen. Soll der Zweck der Vernunft erreicht werden, so muss ihre [=deren] physische Kraft gebrochen und die Freiheit jedes eingeschränkt werden, damit nicht einer des andern Zwecke störe und hintertreibe.
Daraus entsteht die Rechtslehre oder Naturrecht. Die Natur dieser Wissenschaft ist sehr lange verkannt worden; sie hält die Mitte zwischen theoretischer und praktischer Philosophie, die ist theoretische und praktische Philosophie zugleich. Juridische Welt muss vor der moralischen vorhergehen.
Die Vernunft 'ist dargestellt in mehreren Individuen, die sich in der Welt durchkreuzen'... Sie ist nicht bloß "dargestellt in...", sondern ist buchstäblich nichts anderes als das vernünftige Handeln dieser mehreren Individuen, 'die sich in der Welt durchkreuzen'. Vorher jedenfalls 'ist' sie nicht.
(Ferner ist die Rechtslehre auch praktisch, so eine rechtliche Verfassung macht sich nicht selbst, sondern muss hervorgebracht werden; kann aber nicht wie die Moralität durch Selbstbeschränkung bewirkt werden. Sie braucht äußere Mittel und lässt sich nicht gebieten, da von ohngefähr Vereinigung des Willens Mehrerer erst erfordert wird, vid. Kant zum Ewigen Frieden.
Die Aufgabe dieser Lehre [=der WL] ist die: Freie Willen sollen zu einem gewissen mechanischen Zusammenhang und Wechselwirkung gefügt werden. Nun gibt es so einen Naturmechanismus an sich nicht, er hängt zum Teil mit von unserer Freiheit ab; Wirksamkeit der Natur und Vernunft in ihrer Vereinigung bewirken diesen Zustand.)
Ganz nahe verwandt und in demselben Gebiete liegt die Religionsphilosophie. Beide machen aus eine dritte Philosophie: //243// die Philosophie der Postulate, die Rechtsphilosophie des Postulats an die Freiheit, die Religionsphilosophie des Postulats der praktischen Philosophie an die theoretische, an die Natur, welche sich durch ein übersinnliches Gesetz dem Zweck der Moralität akkomodieren soll. Diese Postulate abzuleiten und zu erklären ist Wissenschaftslehre; aber die Anwendung derselben im Leben ist nicht mehr Wissenschaftslehre, sondern pragmatischer Teil der Philosophie, und gehört in die Pädagogik sensu latissimo.
Ich muss zugeben, dass ich das nicht verstehe. Nicht nur, dass man die Berechtigung einer Religionsphilosophie wohl nur annehmen kann, wenn man selber einer religiösen Lehre anhängt, was aber nur ein Faktum wäre und kein philosophisches Thema; sondern dass darüber hinaus eine besondere Philosophie der Postulate nötig und möglich sei, die auf den Feldern, wo Gründe nicht mehr herzuleiten sind, dieselben in pragmatische Absicht ersetzen könnten.
4) Nach dieser Einteilung bleibt daher eine Wissenschaft übrig, welche jedem bekannt ist, die man auch immer zur Philosophie gerechnet hat und mit Recht. (Ich meine nicht die Logik, welche für jede Wissenschaft gilt und für jedes Handwerk, und Instrument des Vernunftverfahrens ist). Die Ästhetik, wo liegt diese? Die soeben beschriebene und eingeteilte in ihrer Grundlage aufgestellte Philosophie steht auf dem transzendentalen Standpunkte und sieht von diesem auf den gemeinen Gesichtspunkt herab. Das ist das Wesen der transzendentalen Philosophie, dass sie nicht will Denkart im Leben werden, sondern zusieht einem Ich, welches im Leben sein Denksystem zu Stande bringt, sie schafft selbst nichts. Dieses untersuchte Ich steht auf dem gemeinen Standpunkt.
In der Theorie hat die Philosophie alle Menschen als besondere zum Objekt, und sie ist geschlossen, so wie der Mensch in concreto dasteht, ihre Ansicht gilt für jedes Individuum. In der Ethik und Rechtslehre wird der Mensch im realen Gesichtspunkte gedacht. Dabei entsteht der deutliche Widerspruch: Der ideale Philosoph betrachtet den realen Menschen? Er ist doch aber auch ein Mensch. Der Mensch kann sich auf den transzendentalen Gesichtspunkt erheben nicht als Mensch, sondern als transzendentaler spekulativer Wisschenschaftler. Es entseht in der Philosophie ein Anstoß, in ihr ihre eigene Möglichkeit zu erklären.
Was gibts für einen Übergang zwischen beiden Gesichtspunkten. - Frage über die Möglichkeit der Philosophie. Beide Gesichtspunkte sind sich ja gerade entgegengesetzt . Gibts nicht ein Mittleres, so ist nach unseren eigenen Grundsätzen kein Mittel, zu ihm über-//244// zugehen.
Es ist faktisch erwiesen, dass es so ein Mittleres gibt zwischen der transzendentalen und gemeinen Ansicht; dieser Mittelpunkt ist die Ästhetik. Auf dem gemeinen Gesichtspunkte erscheint die Welt als gegeben, auf dem transzendentalen als gemacht ('Alles in mir'); auf dem ästhetischen erscheint sie als gegeben, so als ob wir sie gemacht hätten und wie wir selbst es machen würden (vide Sittenlehre von den Pflichten des ästhetischen Künstlers).
*) Fichte, Über Geist und Buchstab in der Philosophie. in: SW VII, S. 279
Nein, das ist ein Fehler, den man als solchen benennen muss: Dass das ästhetische Erleben aus dem wirklichen sinnlichen Leben stamme, ist zur Hälfte falsch. Die physiologischen Reize, die als ästhetisch - gefallend oder nicht gefallend - erlebt werden, kommen gewiss nirgend anders her als etwa das Gefühl von Hunger und Durst; wie könnten sie auch? Wie jene gehen sie ein in ein System der Sinnlichkeit, das sie ipso facto 'verändern'. Es ist die jeweilige 'Veränderung', die im System so oder anders 'bestimmt' wird. Dass das eine als grob-sinnlich, das andere als fein-ästhetisch beurteilt wird, liegt am je erreichten Zustand des Gesamtsystems.
21. 5. 17
Das ist der ästhetische Sinn, aber die Wissenschaft ist etwas anderes. Die Wissenschaft ist der Form nach transzendental, sie ist Philosophie, sie beschreibt die ästhetische Ansicht, in solcher Ästhetik muss nicht ein schöner Geist sein; die ästhetische Philosophie ist ein Hauptteil der Wissenschaft und ist der ganzen anderen Philosophie, die man die reelle nennen könnte, entgegengesetzt.
Der Einteilungsgrund ist der Gesichtspunkt, welcher entgegengesetzt ist. In materialer Ansicht liegt sie zwischen theoretischer und praktischer Philosophie in der Mitte. Sie fällt nicht mit der Ethik zusammen, denn unserer Pflichten sollen wir uns bewusst werden; allein die ästhetische Ansicht ist natürlich und instinktmäßig und dependiert nicht von der Freiheit. [siehe jedoch: Wie das Ästhetische in die Welt gekommen ist.]
Dieser Gesichtspunkt ist es, durch den man sich zum transzendentalen erhebt; so folgt, dass der Philosoph ästhetischen Sinn, d. h. Geist haben müsse; er ist deshalb nicht notwendig ein Dichter, Schönschreiber, Schönredner; aber derselbe Geist, durch dessen Ausbildung man ästhetisch wird, derselbe Geist muss den Philosophen beleben, und ohne diesen Geist wird man es in der Philosophie nie zu etwas bringen; sonst plagt man sich mit dem Buchstaben und dringt nicht in des Innere.
Finitum d. 14. März 1799
Der Übertritt aus dem 'gemeinen' in den 'transzendentalen' Gesichtspunkt ist ein Hiatus, gar eine Katharsis: Das Individuum löst sich gedanklich nicht nur aus seinen Verstrickungen mit der Welt, sondern aus seiner Identität mit sich, mindestens "zum Teil": Es tritt neben sich und sieht sich dabei zu, wie es sich in der Welt zurechtfindet. "Im ästhetischen Zustand ist der Mensch gleich Null", hieß es bei Schiller. Das ist es, was ihn zum Vorraum des transendentalen Standpunkts werden lässt.
Nota II
Dieser zweite Vortrag der Wissenschaftslehre "nach neuer Methode" endete Mitte März 1799. Da war der Atheismusstreit längst in vollem Gange. Noch zu diesem fortgeschrittenen Zeitpunkt schließt Fichte die Darstellung seiner prima philosophia so, dass kein Zweifel bleibt: als nächstes ist die Ausarbeitung der "ästheti-schen Philosophie" als ein "Hauptteil" seines spekulativen Geschäfts vorgesehen. Die von Giorgia Cecchinato* dazu zusammengetragenen philologischen Daten lassen wenig Raum für andere Deutungen.
Wenige Tage nach Abschluss der Vorlesung reichten Fichte und Niethammer ihre jeweiligen "Verantwortungs- schriften" gegen den Atheismus-Vorwurf beim weimarischen Ministerium ein. Dass die Angelegenheit bis zur Entfernung Fichtes von seinem Lehrstuhl führen würde, war noch nicht abzusehen. Die aber hat dann alle andern Pläne umgestoßen.
Ob Fichte bei der Ausarbeitung seiner Ästhetik zu dem Schluss gelangt wäre, die Ethik der Ästhetik als einen Spezialfall unterzuordnen, wie Herbart es später tat, steht in den Sternen. Es hätte seine Logik, und Herbart dürfte seine eigenen Ergebnisse aus der Auseinandersetzung mit Fichtes Sittenlehre gewonnen haben.
Der entscheidende Punkt ist: Auch die Ethik gebietet, wie die Ästhetik, immer "einzeln und unmittelbar", und diesen Punkt hat nicht nur Herbart, sondern vor ihm schon Novalis aus Fichtes Vortrag herausgehört. Allgemeine Gesetze sind der Moralität sowohl für Herbart als für Novalis direkt entgegengesetzt. Was anders als diese kann Fichte aber gemeint haben, wenn er oben sagt: "unserer Pflichten sollen wir uns bewusst werden"? Denn dass ich mir im gegebenen Moment dessen, was ich unmittelbar soll, 'bewusst' werde und mir 'einen Begriff davon' mache, liegt ja auf der Hand, aber das ist beim Ästhetischen auch nicht anders.
Und ob sich Fichte zu dem Entschluss hätte durchringen mögen, das Wahre-Absolute-Unbedingte als eine ästhetische Idee aufzufassen, ist noch weniger gewiss. Logisch gibt es eigentlich keinen andern Weg, aber das Herz kennt manchmal Gründe, von denen der Verstand nichts ahnt.
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